Frauke Adrians

Türsteher ohne Schlüsselrolle

Journalisten im Dialog mit der (freien) Szene

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 1/2022 , Seite 14

Das Verhältnis zwischen Künstlern und „der Presse“ war noch nie einfach. In Zeiten des Zeitungs- oder zumindest des Kulturteil-Sterbens ist es noch komplizierter geworden. Die Diskussionsrunde „Zwischen Verriss und Marketing“ in Berlin brachte beide Seiten an einen runden Tisch.

Die klassischen Medien – Print und Rundfunk inklusive der dazugehörigen Online-Redaktionen – beschäftigen immer weniger ­interessierte und fachkundige Kulturjournalisten, um deren Aufmerksamkeit eine auch „nach Corona“ immer noch erfreulich große Zahl von Theater- und Ballettkompanien, Musikensembles, Orchestern und Solisten jeglicher Kunstform konkurriert. Hinzu kommt ein weiteres Konkurrenzverhältnis: das zwischen öffentlich geförderten Kulturinstitutionen und „freien“ Kunstschaffenden. Was die freien Künstlerinnen und Künstler – gleich welcher Sparte – verbindet, ist häufig der Argwohn: „Die Medien“ interessierten sich doch nur für „die Etablierten“ – also für die Staatstheater, die mit Bundes-, Landes- oder kommunalen Geldern geförderten Opern­häuser oder die städtischen Sinfoniker. Und auf einer schrumpfenden Zahl von Feuilleton- bzw. Kulturteil-Seiten der Wochen- und Tagespresse finde die wagemutige Premiere der aufregenden freien Bühne einfach nicht – oder nicht mehr – statt.
Dieser nicht neue, aber angesichts der kargen Corona-Zeiten noch drängender gewordene Vorwurf an „die Presse“ spielte eine be­deutende Rolle beim zweitägigen Symposium „Zwischen Verriss und Marketing – Die Zukunft des Kulturjournalismus im Dialog mit der freien Szene“, das im August 2021 in Berlin stattfand. Wobei das Stichwort „Dialog“ das entscheidende und Hoffnung weckende war: Wer miteinander redet, der hört einander auch zu. Gastgeber des Treffens im Stadtmissions-Haus „Refugio Berlin“ in Neukölln war das Performing Arts Programm des Landesverbands freie darstellende Künste. Redebeiträge kamen sowohl von Künstlern als auch von erfahrenen Kulturjournalisten, von Kultur- und Medienpolitikern.

Wer braucht noch „die Presse“?

Ein medientheoretischer Begriff von historischer Bedeutung tauchte wiederholt auf: Gatekeeping. Das allein war erstaunlich, denn im Internet-Zeitalter müssten die Medien ihre alte Rolle als „Torwächter“ über das zu Berichtende und das angeblich getrost zu Ignorierende längst verloren haben, sollte man meinen. Jeder Internet-User ist schließlich längst nicht mehr nur Empfänger, sondern auch Aussender von Nachrichten und Meinungen. Hunderte Konzert­besucher und Opernfans bloggen mit großer Begeisterung und Ausdauer – und oft auch mit beachtlichem Fachwissen – über das, was sie allabendlich in den Theater- und Konzerthäusern erleben. Für Kulturberichterstattung und Kulturkritik müsste das heißen: Auch diejenigen Vorstellungen und Konzerte, die im Zeitungsfeuilleton nicht vorkommen, werden durchaus kundig rezensiert und kommentiert, in vielen Fällen enthusiastisch gelobt, gar bejubelt. Wer, so könnten sich gerade die freien Ensembles fragen, braucht da überhaupt noch „die Presse“?
In einer Diskussionsrunde zum Thema „Gatekeeping“ wurde dennoch deutlich, wie sehr sich „die Freien“ danach sehnen, von den „richtigen“ Medien beachtet zu werden. Denn letztlich sind es wohl immer noch die mehr oder weniger klassischen Kultur-Kanäle, von gedruckt über gesendet bis online, die die Aufmerksamkeit eines nennenswert großen Publikums erringen, und deren namentlich bekannte bis prominente Kritikerinnen und Rezensenten, auf deren fachkundiges Urteil Kulturschaffende Wert legen. Warum, so lautete die in verschiedenen Varianten vorgetragene Frage an die Journalisten in der Runde, warum kommt die freie Szene nur so selten vor, etwa im Deutschlandradio und auf nachtkritik.de? Der öffentlich-rechtliche Rundfunksender und das renommierte Theater- und Rezensions-Portal waren jeweils mit mehreren Akteuren bei dem Symposium vertreten und konnten den zahlreich anwesenden Vertretern freier Bühnen „live“ Rede und Antwort stehen.
Eine für freie Künstler vermutlich unbefriedigende, aber schlicht wahre Antwort gab nachtkritik-Redakteur Christian Rakow: An den großen Häusern kommt das Portal nicht vorbei, weil sie und ihre Inszenierungen nun einmal den Kultur-Diskurs prägen. Medien wie nachtkritik.de wollen das wahrnehmen und rezensieren, worüber von vergleichsweise vielen geredet wird – Rakow: „Wo konzentriert sich das Stadtgespräch?“ –, und das ist nun einmal eher die Premiere am Deutschen Theater Berlin als diejenige im Zimmertheater des Stadtteils X. Wobei Berlin ebenso wie andere Großstädte und Kulturmetropolen ein echtes Luxusproblem hat, das Susanne Burkhardt von Deutschlandfunk Kultur wie folgt beschrieb: „Wir haben nur begrenzt Platz und es häuft sich nun mal alles von Donnerstag bis Sonntag.“ Berlin hat sehr viele Bühnen und nahezu alle, von sehr groß bis winzig, legen ihre Premieren auf die Wochenenden. Was für freie Theater theoretisch eine Nische eröffnet: Eine Dienstagspremiere hätte viel größere Chancen, im Feuilleton Beachtung zu finden. Aber welche Bühne will ihr Publikum schon mit einem womöglich langen Premierenabend mitten in der Arbeitswoche stressen?

Knappe Sende- und Artikelplätze

Im Unterschied zum Portal nachtkritik.de, das zwar bei besonderen Anlässen auch Übersichtsartikel und Features veröffentlicht, aber in seinem Markenkern ein Premierenkritik-Medium ist, haben die Deutschlandradio-Kanäle – Deutschlandfunk und Deutschlandfunk Kultur – diverse Möglichkeiten, Ensembles und Produktionen auch auf andere Weise zu würdigen. Über „freie“ Arbeiten, Bühnen-Experimente oder Kinder- und Jugendtheater bringe man beispielsweise Festivalberichte oder Interviews, so Burkhardt. So könne man zu verschiedenen Tageszeiten und in geeigneten Sendeformaten auf Interessantes hinweisen, ohne einen der raren Rezensionsplätze zu füllen. In der Sendung „Fazit“, die werktäglich auf Deutschlandfunk Kultur zwischen 23 und 24 Uhr läuft, ist pro Sendung nur für zwei aktuelle Bühnenkritiken Platz; die übrigen Beiträge beschäftigen sich mit Ausstellungseröffnungen oder anderen Kunstformen. Da muss der zuständige Redakteur, respektive die Redakteurin, schon genau überlegen, welches Theaterereignis am späten Abend gleich nach der Premiere rezensiert werden soll.

Lesen Sie weiter in Ausgabe 1/2022.