Barry, Gerald

Trumpeter

for a solo instrument

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2014
erschienen in: das Orchester 04/2015 , Seite 75

Gerald Barry wurde 1952 in Clare Hill (Irland) geboren und ist Schüler von Karlheinz Stockhausen und Mauricio Kagel. Das allein verspricht schon ungewöhnliche und überraschende Klänge in einer Komposition.
In jüngster Vergangenheit konnte er mit den Aufführungen seiner Oper The Importance of Being Earnest ungewöhnlich große Erfolge feiern. Die Los Angeles Times ließ sich sogar zu folgenden Worten hinreißen: „Die Welt ist nun im Besitz einer Rarität: Barrys The Importance of Being Earnest ist eine wirklich urkomische Oper und wahrscheinlich das originellste Bühnenwerk nach Oscar Wilde seit Richard Strauss’ Salome, die vor mehr als einem Jahrhundert entstand.“ Auch seine Klavier- und Streichquartette schaffen es durchaus häufiger auf die Bühnen der Welt. Das macht natürlich neugierig auf weitere aktuelle Kompositionen von Gerald Barry, zumal, wenn sie gleich auf den ersten Blick in Ambitus und Rhythmus sehr gut zugänglich erscheinen.
Das hier vorliegende Werk Trumpeter for a solo instrument entstand 1998 und ist nur 49 Takte lang. Das kurze Vorwort verrät, dass es sich für folgende Instrumente eignet: Flöte, Altflöte, Bassflöte, Oboe, Englischhorn, Klarinette, Bassetthorn, Bassklarinette, Fagott, Kontrafagott, Trompete, Horn, Posaune, Tuba oder jedes andere Brassband-Instrument, alle Streichinstrumente und ferner Mundharmonika, Ondes Martenot, Konzertina, Dudelsack und Röhrenglocken.
Ungewöhnlich mutet an, dass der Komponist nicht nur das Soloinstrument dem Ausführenden überlässt, sondern außerdem die Tonart und die Lage völlig frei stellt. Der einzige im Vorwort angegebene Wunsch des Komponisten lautet: Streicher mögen sein Stück ohne Vibrato spielen.
Gerald Barry selbst sieht einen Trompeter als signalspielenden Kavallerie- oder Artilleriesoldaten. Er bläst zu verschiedenen Zwecken prägnante, oft aus Naturtönen bestehende, kurze Signale.
In Trumpeter for a solo instrument finden wir die Vortragsbezeichnung sad/simply und die Aufführungsdauer liegt nur bei etwa zwei Minuten. Drei zweitaktige Phrasen erklingen mit identischen Tönen insgesamt sechs Mal, wobei der einzige Unterschied in der Anzahl der Achtel besteht, die die Pausen zwischen den einzelnen Phrasen haben. Weder die durchgehende Dynamik (ein charmantes Mezzopiano) noch den über jeder Phrase notierten Legatobogen würde man wohl spontan mit einem Trompeter verbinden. Auch handelt es sich bei dem verwendeten tonalen Material nicht um Naturtöne; ebenso sucht man Zwölftonreihen oder aus der klassischen Harmonielehre bekannte Akkorde vergebens. Die Phrasen wirken wie auseinandergezogene Cluster und bilden ein merkwürdig surreales Bild eines Trompeters, welches aber nicht unangenehm, sondern nach mehrfachem Durchspielen und Anhören fantasieanregend klingt.
Trumpeter for a solo instrument ist ein Geheimtipp für alle, die nach einem einfachen, wirkungsvollen und kurzweiligen zeitgenössischen Stück suchen.
Kristin Thielemann