Richard Wagner
Tristan & Isolde
an orchestral passion. Symphonic compilation arranged by Henk de Vlieger Staatskapelle Weimar, Ltg. Hansjörg Albrecht
Diese Einspielung unter den außergewöhnlich breiten Tonträger-Aktivitäten der Staatskapelle Weimar setzt etwas in Erstaunen: Mit deren ehemaligem Generalmusikdirektor Kirill Karabits gab es einige spannende Liszt-Vorstöße, von denen das Opernfragment Sardanapalo im Oktober auch bei einem Gastspiel der Staatskapelle Weimar in Budapest erklang. In der Diskografie finden sich Entdeckungen des komponierenden Violinvirtuosen Joseph Joachim, ein packend geschmeidiger Ring des Nibelungen und vor dem gerade erschienenen Kurz-Tristan unter Hansjörg Albrecht bereits ein Ring ohne Worte in der Fassung Lorin Maazels.
Natürlich wird die Erwartungshaltung durch den Zweittitel an orchestral passion ziemlich nach oben geschraubt. Und natürlich gibt es in der großen Tonträgergeschichte von Richard Wagners die europäische Kunstmusik revolutionierender „Handlung in drei Aufzügen“ nicht immer akustische Nervengifte mit Drogeneffekt. Aber aus Henk de Vliegers 1994 entstandener „Symphonic compilation“ und Wagners anarchischen Abgründen könnte man noch ganz andere Hetzjagd-Funken der Leidenschaft, des verzehrenden Verlangens schlagen. Vom Vorspiel springt de Vlieger sofort in das lange Liebesduett des zweiten Aufzugs und gibt Ting-Chiao Yus Englischhorn-Soli aus dem dritten Aufzug angemessene Entfaltungsmöglichkeiten.
Auf weite Strecken wirken die breiten, sorgfältig erarbeiteten und oft sehr schönen Sinfonik-Pulse wie Wagner ohne Gesang und nicht anders, sogar wenn man ab dem fünften Satz Tristans Vision mehr Dramatik wagt. Bedauerlich ist Albrechts wenig aufschwungbereite Lesart auch deshalb, weil es seit der Wende am Deutschen Nationaltheater Weimar gleich zwei musikalisch aufregende Produktionen von Tristan und Isolde gab – die erste mit Hans Aschenbach und Sue Patchell, die andere mit Franco Farina und Catherine Foster.
Hansjörg Albrechts Deutung kommt stellenweise der abgeklärten und auf Schönfluss bedachten Deutung des späten Daniel Barenboim mit der Staatskapelle Berlin nahe. Dass es auch Vorbilder gäbe, die opulente Konzentration und die brennenden Eingeweide der Liebenden zur Synthese bringen, hört man hier nicht. Die Chancen zu ästhetischen, dramatischen und analytischen Neubefragungen der Partitur, welche ein solches Arrangement und der Transfer ins Studio oder in den Konzertsaal ermöglichen, wurden nicht genutzt.
So gerät dieser Weimarer Kurz-Tristan zu einer schönen Fleißarbeit. Diese lässt nur entfernt ahnen, was das Orchester der Klassikerstadt in Uraufführungen wie Stauds missing in cantu oder in der von Publikum und Medien gefeierten Wiederentdeckung von Paul Dessaus Oper Lanzelot zu leisten vermag.
Roland Dippel