Johann Sebastian Bach (?)

Triosonate für Flöte, Violine und Basso continuo G-Dur BWV 1038

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel, Wiesbaden 2012
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 62

Die Ehre, in Johann Sebastian Bachs Neue Ausgabe Sämtlicher Werke aufgenommen zu werden, wollte man in den Anfangsjahren dieses Projekts weder den drei Flötensonaten C-Dur, Es-Dur und g-Moll noch der Triosonate BW 1038 und der mit ihr in enger Beziehung stehenden F-Dur-Sonate für Violine und obligates Cembalo BWV 1022 zugestehen, die, wie man annehmen darf, auf eine gemeinsame, aber verlorene Quelle zurückgehen. In Serie VI, Band V, wurde das jetzt erfreulicherweise nachgeholt (die g-Moll-Sonate ausgenommen), wenn auch mit Fragezeichen versehen. Eine gute Entscheidung, ein guter Kompromiss.
Die Frage nach der Echtheit, mit der wir auch bei den so genannten unechten Flötensonaten konfrontiert sind, ist in diesem Fall mit einer für Bach ungewöhnlichen Konstellation verbunden, dass nämlich drei Stücke einen (wenn auch nicht buchstäblich) gemeinsamen Bass haben. Möglicherweise hat Bach ihn sogar einer fremden, bisher allerdings unbekannten Vorlage entnommen, ist er doch weder besonders bach-spezifisch noch
so zwingend mit der Solostimme verbunden, wie man das bei diesem Komponisten gewohnt ist. Das erste auf diesem Bass basierende Werk ist die sicher echte und deutlich vor den sechs großen Violinsonaten (um 1720) komponierte Sonate G-Dur für Violine und Continuo BWV 1021, die sich im thematischen Material aber wesentlich von BWV 1038 und 1022 unterscheidet.
Die Triosonate BWV 1038 ist handschriftlich von Bach überliefert, jedoch ohne dass er sich ausdrücklich als Autor dazu bekannt hat. So wissen wir nicht, welchen Anteil er an dieser Komposition hatte, und ob vielleicht sogar ein mehrstufiger Bearbeitungsprozess vorliegt. Ebensowenig wissen wir, unter welchen Bedingungen sie zustande gekommen ist, z.B. im Zusammenhang mit Kompositionsunterricht oder innerhalb der Familie. Und man muss wohl auch einem solchen Mann zugestehen, dass er bei der täglichen Arbeit nicht alles genau für die Nachwelt dokumentiert hat.
Mit den komplizierten und vermutlich nicht mehr vollständig aufzulösenden Werkzusammenhängen zwischen den drei Sonaten setzt sich der Herausgeber Barthold Kuijken in seinem ausführlichen und persönlich gehaltenen Nachwort sorgfältig und kompetent auseinander. Ohne die Kritischen Berichte oder spezielle Literatur zum Thema selbst lesen zu müssen, erhält man eine gute Vorstellung davon, wie sich die Quellenlage darstellt. Wichtig scheint mir vor allem auch seine Bemerkung, dass Vermutungen allzu leicht durch Wiederholung zu sicheren Annahmen werden können, was dann den Blick auf andere Möglichkeiten verstellt.
Es wird wohl deshalb auch hier, ähnlich wie bei den drei Flötensonaten, die von Kuijken ebenfalls vorbildlich herausgegeben worden sind, angebracht sein, auf vermeintliche Sicherheit zu verzichten und das Fragezeichen zu akzeptieren, zumal es sich weniger auf den Namen Bach bezieht als vielmehr auf die Entstehungsumstände. Ein die Ungewissheit produktiv nutzender Vergleich der Triosonate BWV 1038 mit der unzweifelhaft echten Sonate BWV 1039 für zwei Flöten und Continuo könnte so zu einem durchaus interessanten Experiment werden.
Ursula Pešek