Ludwig van Beethoven
Trios für Klavier, Violine und Violoncello op. 70
hg. von Jonathan Del Mar
Vor 100 Jahren Jahren wurde der Bärenreiter-Verlag gegründet, heute eines der großen Verlagshäuser in Sachen Musikalien. Man muss nur an die Neue Bach- oder die Neue Mozart-Ausgabe denken, die (auch) bei Bärenreiter erschienen sind, um sich die Bedeutung des Kasseler Verlags für die musikalische Praxis bewusst zu machen. Viele andere Ausgaben wären auch noch zu erwähnen. Nun hat aber der Musikbetrieb seine eigenen Gesetze und es ist nicht immer so, dass vorzügliche Editionen auch sofort und dauerhalt Eingang in die Praxis finden. Als in den 1990er-Jahren Beethovens neun Sinfonien als Urtext-Ausgabe neu erschienen, ediert von dem englischen Musikwissenschaftler und Dirigenten Jonathan Del Mar, war das ohne Frage ein Fortschritt in der durchaus nicht einfachen Beethoven-Philologie. Aber würde das Konzertpublikum davon etwas mitbekommen?
Das durchaus Überraschende und Positive: Die Del-Mar-Ausgabe hat sich durchgesetzt, wurde früh von berühmten Dirigenten benutzt und ist heute fast schon Standard. Auch gut: Es blieb nicht bei den Sinfonien.
Nun liegt ein neuer Notenband vor, der den beiden Klaviertrios op. 70 gewidmet ist. Die Nummer 1 ist das berühmte „Geistertrio“, das neben dem „Erzherzog-Trio“ gewiss bekannteste und meistgespielte Werk Beethovens in dieser Gattung. Die Ausgabe enthält eine ausführliche Werkeinführung von Misha Donat zu den beiden Klaviertrios, ein Vorwort des Herausgebers, Faksimiles und einen ausführlichen Kritischen Bericht im Anhang. Jonathan Del Mar hat für diese Edition auch handschriftliche Stimmen verwendet, die für Erzherzog Rudolf erstellt wurden und in die Beethoven Korrekturen eingetragen hat. Jonathan Del Mar hatte also mehr Material zu Verfügung als die bisherigen Ausgaben, so dass er auch bei op. 70 zu genaueren und fundierteren Entscheidungen kommen konnte.
Zu dem Kritischen Bericht gibt es noch einmal drei Anhänge, die offensichtliche Irrtümer, alternative Lösungen und dynamische Angaben in beiden Notensystemen des Klaviers auflisten und den Interpret:innen auch die Möglichkeit eröffnen, zu eigenen Ergebnissen an strittigen Stellen zu kommen.
Es ist einmal mehr eine brillante Edition, der ebenfalls viel Verwendung in der Praxis zu wünschen ist und die fürs Musizieren und Analysieren der beiden Klaviertrios eine erstklassige Basis liefert.
Interessant ist, dass der Herausgeber erwähnt, dass er von den Autografen beider Trios „ausgezeichnete Online-Digitalisate“ nutzen konnte und deshalb die Originale gar nicht sehen musste. Die digitale Welt hat eben längst schon ihren Einfluss auf die Musikphilologie.
Karl Georg Berg