Barry, Gerald

Triorchic Blues

for solo violin

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, London 2015
erschienen in: das Orchester 03/2016 , Seite 71

Im Gegensatz zu Deutschland ist der irische Komponist Gerald Barry im angelsächsischen Sprachraum ein bekannter Vertreter zeitgenössischen Komponierens. Seine auf Oscar Wilde beruhende Oper The Importance of Being Earnest (2010) gilt als Erfolgsstück, sie erlebte zahlreiche Aufführungen. Nach Studien bei Stockhausen und Kagel zeigt sein Schaffen, das sich durch eine lakonische Schreibweise mit deutlichen Bezügen zur Musikhistorie auszeichnet, eher ein Anknüpfen bei Letzterem. Das Serielle ist bei ihm tendenziell dem Minimalistischen gewichen.
Typisch für Barrys Komponieren ist die Mehrfachausführung bzw.
– bearbeitung von Fertigem. Triorchic Blues ist 1990 für Klavier entstanden, die hier vorliegende Fassung für Violine solo zwei Jahre später, sie erscheint erst jetzt im Druck. Es existieren auch Fassungen für Trompete oder Violoncello. Barrys Verfahren unterscheidet sich von Mehrfachverwendungen gleichen Materials in gleicher Klanggestalt (wie bei Bachs Parodieverfahren) oder dem bloßen Umarrangieren von Stücken (z.B. eines Chorsatzes für gemischte Stimmen in gleiche).
Das Klavierstück ist ein permanent unruhiges Perpetuum mobile, perkussiv beginnend in tiefsten Lagen, um im Lauf der Zeit immer weiter nach oben aufzusteigen, zwischenzeitlich auch die Hände in extremer Distanz voneinander zu bewegen. In der Fassung für Violine ist der Verlauf des Stücks nicht verändert, die Wechsel der Tonräume können jedoch naturgemäß nur erheblich kleiner sein. So wird auf den ersten drei Druckseiten die E-Saite fast nicht genutzt, auf den letzten beiden die G- und D-Saite gar nicht. Für den Interpreten ist eine Aufführung physisch sehr anstrengend, für die Länge von über vier Minuten gibt es nicht eine Pause sowie als Strichart ausschließlich detaché. Die linke Hand hat Einzeltöne oder Doppelgriffe auszuführen, Letztere sind sämtlich spielbar, bei einigen Anschlüssen liegen sie zum Teil ungünstig.
Der Titel Blues lässt sich hörend kaum dingfest machen. Am ehesten verweisen auf ihn zuweilen anzutreffende rhythmische Figuren aus einer Achtel und einer Sechzehntel, die an die traditionelle ternäre Aufteilung des Beats anknüpfen. Doch hier entsteht kein durchgehender Beat aufgrund permanenter Taktwechsel. Auch tonal erwachsen kaum Assoziationen zum Blues, allenfalls durch den häufigen Einsatz von Tritoni. Das zweite Wort im Titel erwähnt Barry kurz im Nachwort. Triorchie ist eine seltene angeborene Anomalie des männlichen Geschlechts mit drei Hoden, nachgewiesen bei dem Kastratensänger Tenducci. Ob und welche Bezüge sich hieraus zur Komposition Triorchic Blues ergeben, bleibt für den Rezensenten offen.
Dieses Stück eignet sich für professionelle Geiger, die den Mut haben, sich einer schwierigen, nicht immer dankbaren Aufgabe zu stellen. Erfolg beim Publikum kann es geben, wenn rhythmisch und intonatorisch sehr gut vorgetragen wird.
Christian Kuntze-Krakau