Werke von Schostakowitsch, Dvorˇák und Weinberg

´Trio Karénine

Fanny Robilliard (Violine), Louis Rodde (Violoncello), Paloma Kouider (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Mirare
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 78

Wir erinnern uns gerne: Die französischen Romantiker hat das Trio Karénine zuletzt eingespielt – Ravel, Fauré und Tailleferre. Nun sind es auf der mittlerweile dritten CD die Slawen, die Osteuropäer. Die slawische Seele, die osteuropäischen Tragödien, die Leiden und Leidenschaften des russischen Volkes, Moral, Glück und Unglück: Themen der Tolstoi’schen Protagonistin Anna Karenina, Themen der vorliegenden Einspielung des Trio Karénine, das sich nach dieser literarischen Figur benannt hat.
Drei junge französische Musiker – Fanny Robilliard an der Geige, Louis Rodde am Cello und Paloma Kouider am Klavier – fanden sich vor nunmehr zehn Jahren zum Trio zusammen, treten seither europaweit auf und sind preisgekrönt. Zu Recht. Wagt man eine Entwicklung des Ensembles zu benennen, so ist es wohl eine noch größere Stilsicherheit und eine unbeirrbare Bestimmtheit, Idealisierung und Individualisierung des Ausdrucks. Unglaublich virtuos und technisch souverän sind die drei ohnehin.
Die Musik von Dvořák, Schostakowitsch und Weinberg wird hier deutlich erkennbar als Beispiel „slawischen Gemüts“ interpretiert und nicht etwa nur, wie man es mitunter hört, als Identitätssuche. Das lebensfrohe Dumky-Trio von Dvořák, das er 1891 als erst 17-Jähriger komponierte (er saß bei der Uraufführung selbst am Klavier), ist herrlich lebendig gestaltet, temperamentvoll, tänzerisch, leichtfüßig, schmissig, jugendlich, voller Kontraste in Dynamik und Klangfarbe. Dass Dvořák schon in frühen Jahren ein wenig traurig und ein wenig heiter sein konnte (ein bisschen Dumka eben – eine Dumka ist eine traditionelle slawische Ballade), vermittelt das Trio überzeugend.
Das einsätzige Opus 8 von Schostakowitsch aus dem Jahr 1923, also gut dreißig Jahre nach Dvořáks Stück entstanden, begegnet uns sehr präsent. Wunderbar das klagende Cello zu Beginn, die weiten, leidenschaftlichen Linien, die Entfaltung von hämmernden Rhythmen bis zu lyrischer Liebelei. Sehr gut kann man sich das Œuvre hier als Stummfilmmusik vorstellen, ursprüngliche Intention des Komponisten. Dank dieser Interpretation mag man es vielleicht bald ähnlich gerne hören wie das bekanntere und beliebtere zweite Klaviertrio.
Mieczysław Weinberg, ein Freund Schostakowitschs, hat nur ein Klaviertrio geschrieben. 1945, wiederum zwanzig Jahre später. Weinbergs Familie ist in NS-Konzentrationslagern in Polen umgekommen, er selbst, polnischer Jude, entkam der Verfolgung. Krieg, Leid, Kummer, Hoffnung;
a-Moll. Der hier komponierten und gespielten Bedrängnis kann sich der Hörer nur schwerlich entziehen. Man erzittert beim Pizzicato der Streicher, man erstarrt beim Donnern des Klaviers. Markant, expressiv werden die eindringlichen Motive und Tonrepetitionen herausgearbeitet, alles noch etwas dichter als in den beiden anderen offerierten Werken. Wie ausgezeichnet diese breite, erschütternde, in äußerster Pianissimo-Melancholie endende emotionale Palette von den „Karéninen“ vermittelt wird – beeindruckend, ein absolutes Hör-Genuss-Muss!

Carola Keßler