Maurice Ravel
Trio für Klavier, Violine und Violoncello
Urtext, hg. von Douglas Woodfull-Harris
Sehr willkommen ist diese neue Urtext-Ausgabe des im Sommer 1914 entstandenen einzigen Trios für Klavier, Violine und Violoncello von Maurice Ravel, der in diesem Jahr 150 Jahre alt geworden wäre. Es handelt sich dabei sowohl um eines seiner zumindest in rhythmischer Hinsicht kühnsten Stücke als auch um ein Meisterwerk, eine in vieler Hinsicht herausragende Komposition jener Epoche und nicht zuletzt um ein Schlüsselwerk dieser Gattung. Ravel verarbeitete darin vielfältige Anregungen, von der baskischen Volksmusik (vor allem im ersten der vier Sätze) über François Couperin (der langsame dritte Satz lehnt sich an die barocke Form der Passacaglia an), Richard Wagner (Ravel war bei der Pariser Erstaufführung des Parsifal im Januar 1914 zugegen und hat sie für die Zeitung Comœdia illustré rezensiert), Camille Saint-Saëns (für Ravel das Vorbild, wie man ein kompositorisch perfektes Klaviertrio schreibt, insbesondere bezüglich der formalen Architektur und der schwierigen Ausbalancierung der Klangwelten des Klaviers und der Streichinstrumente), Claude Debussy und Igor Strawinsky (in der immer mal wieder asymmetrischen rhythmischen Einteilung und Polymetrik, die Uraufführung von Strawinskys Le sacre du printemps war ein Jahr zuvor in Paris), machte aber daraus etwas höchst Eigenes. Zusammengehalten wird das Ganze durch zwei motivische Kerne, nämlich die Punktierung und vor allem die markante Sekundausweichung.
Erfreulich erscheint insbesondere die ausführliche und aufschlussreiche Einleitung von Gudula Schütz. Sie ist wissenschaftlich fundiert und zugleich flüssig lesbar, mit spannenden Erkenntnissen „Zur Entstehung“, über „Die Musik“, „Erstaufführung und Drucklegung“ sowie „Frühe Aufführungen und Rezeption“. Außerdem gibt es wertvolle „Aufführungspraktische Hinweise“: Laut Pablo Casals sagte Ravel einmal „Spielen Sie nur, was geschrieben ist“; zugleich erwartete er laut seiner geigerischen Vertrauten Hélène Jourdan-Morhange „übertriebene Schweller, zornig explodierende Crescendi, Doppelschläge, die auf einem klaren Ton sterben, das sanfte Anschmiegen verschmuster Katzen… und bei aller Fantasie doch genaues Zeitmaß im Ausdruck und Disziplin sogar im Rubato“.
Diese wissenschaftlich-kritische Ausgabe stützt sich als Hauptquelle auf die korrigierte zweite Auflage des Durand-Erstdrucks von 1917. Die editorische Lücke zwischen dem Autograf und der Erstausgabe (also die Frage, wie die Erfahrungen der ersten Proben und Aufführungen in die gedruckte Partitur eingingen) vermag der Herausgeber Douglas Woodfull-Harris nicht zu schließen. Das schmälert aber nicht den Wert einer ansonsten erstklassigen Ausgabe.
Ingo Hoddick