Schulhoff, Erwin

Tri Skladby

für Mezzosopran, Flöte, Viola und Violoncello, hg. von Klaus Simon, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2016
erschienen in: das Orchester 07-08/2016 , Seite 70

Der zu Unrecht nahezu in Vergessenheit geratene Max-Reger-Schüler Erwin Schulhoff (1894-1942) gehörte längere Zeit mit dem Zeitgenossen Ernst Krenek zur Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts, bevor er sich einer neoklassizistisch orientierten Kompositionsweise und der Ästhetik des „Sozialistischen Realismus“ zuwandte. Er schrieb sechs Sinfonien, Orchestersuiten, die Oper Flammen, das Ballett Ogelala und zwei Zyklen für Solostimme und Orchester, Landschaften und Menschheit. Gemeinsam mit Krenek vertrat er die Zweite Wiener Schule und integrierte den damals in Europa noch wenig bekannten Jazz in seine Kompositionen, was sich unter anderem in seinem Jazzoratorium H.M.S. Royal Oak und in vielen tänzerisch orientierten Klavierkompositionen niederschlug.
Tri skladby (Drei Werke) wurde 1936 komponiert und im November des gleichen Jahres erstmalig im tschechischen Rundfunk gesendet. Die aparte Besetzung und der gemäßigt moderne Kompositionsstil geben diesem Kammermusikwerk allein schon eine persönliche Note. Schulhoff versteht es, die beiden Streicher und die Flöte geschickt und kunstvoll einzusetzen. Der transparente Satz deckt aber niemals die Gesangs- bzw. Rezitationsstimme zu. Das erste Stück Ukolébavka (Wiegenlied) kann von einem Mezzosopran oder auch einem Tenor gesungen werden. Die Melodieführung ist manchmal volksliedartig, große Intervallsprünge werden vermieden. Auf dem leicht wiegenden Sechzehntel-Klangteppich von Flöte und Violoncello entfalten sich die Gesangsstimme und die Bratsche im Dialog. Die Motive entwickeln sich bis hin zur rhythmischen Verdichtung bei „wird dich am Abend ein Pferdchen entführen“, von der Gesangsstimme in jazzgefärbten Synkopen vorzutragen.
Zebrák (Der Bettler) ist von den Instrumentalstimmen her harmonisch und rhythmisch avancierter. Der melodramatische Einsatz der Stimme (es ist nur der Sprechrhythmus notiert) lässt an Schönbergs Pierrot
Lunaire denken. Die Texte sind tschechisch und es gibt eine deutsche Übersetzung von Cornelius Bauer mit entsprechenden sprachlich-rhythmischen Angleichungen in der Gesangs- bzw. Sprechstimme.
Das dritte Instrumentalstückchen Dráty (Die Drähte) ist mit seinen zwei Zeilen eigentlich nur eine Skizze. Der Tremolo- und der Flatterzungenklang waren wohl, wie es der Herausgeber Klaus Simon im Vorwort schreibt, „eine kompositorische Antwort auf die unvermeidlichen Nebengeräusche beim Rundfunkhören“ in der damaligen Zeit. Vielleicht ließe sich das Stückchen am Anfang, zwischen den beiden anderen Sätzen und am Schluss in unterschiedlichen Lautstärken (der Komponist hat keine vorgeschlagen) und mit entsprechend verfremdeten – zum Beispiel dadaistischen – Texteinwürfen einer improvisierenden Stimme sinnvoll integrieren? Schulhoff wäre es möglicherweise in seiner frühen, experimentierfreudigen Kompositionsphase recht gewesen.
Die Stimmen und die achtseitige Partitur sind gut zu lesen. Ein informatives Vorwort von Klaus Simon ergänzt diese aparte Kammermusik.
Christoph J. Keller