Gottwald, Clytus / Alma und Gustav Mahler
Transkriptionen für Chor a cappella
Wie aus dem Nichts entsteht der Klang, ganz zart entwickeln sich die Stimmen des Chors. Und erst allmählich reihen sich die langsam gesungenen Worte aneinander und ergeben einen Sinn. Aber ist das nicht Instrumentalmusik, die da zu hören ist? Das wird sich ganz gewiss jeder Mensch fragen, der die vorliegende CD zu hören bekommt, ohne sie vorher gesehen oder das Booklet gelesen zu haben. Und kennen wir den Text nicht schon aus einem etwas anderen Zusammenhang? Des Rätsels Lösung: Die zehn Minuten Musik, um die es hier geht, sind das berühmte Adagietto aus Gustav Mahlers 5. Sinfonie, und zwar in einer Version für sechzehnstimmigen Chor.
Für solche Spezialitäten gibt es einen ganz speziellen Chor, der seit etlichen Jahren immer wieder mit interessanten und spannenden Transkriptionen aufhorchen lässt: das SWR Vokalensemble Stuttgart. Dessen neueste CD-Produktion mit Musik von Gustav und Alma Mahler versammelt nun abermals Juwelen, die Chordirigent Marcus Creed und seine Sängerinnen und Sänger gleißend funkeln lassen. Darunter eben auch das Adagietto. Beim Hören könnte man schnell auf den Gedanken kommen, die Bearbeitung sei in Wirklichkeit ein Original so überzeugend und zwingend ist, was Clytus Gottwald da arrangiert hat. Und er hat mit Joseph von Eichendorffs Im Abenrot einen Text gefunden und dem Mahler-Original unterlegt, der haargenau die Stimmung und Gefühlslage des Adagietto ausdeutet, etwa die vierte Strophe: O weiter, o stiller Friede! So tief im Abendrot, wie sind wir wandermüde, ist das etwa der Tod? Richard Strauss hat dieses Gedicht in einem seiner Vier letzten Lieder ausdrucksstark vertont, hier, in der Version von Clytus Gottwald, wirkt es nicht minder intensiv, ja ergreifend was ganz sicher und nicht zuletzt dem exquisiten Chorklang zu verdanken ist. Gewaltige dynamische Bandbreite, schöne Ausgewogenheit der einzelnen Stimmen und große Kultiviertheit kennzeichnen das SWR Vokalensemble, dem zuzuhören weit mehr als einmal den bekannten Gänsehaut-Effekt auslöst. Das gilt für Mahlers Ich bin der Welt abhanden gekommen, für Die zwei blauen Augen, erst recht für die Ersteinspielungen der Lied-Transkriptionen Um Mitternacht, das Urlicht und Wo die schönen Trompeten blasen, Letztere mit wundervoll klangmalerischen Einwürfen.
Neben den Kompositionen Gustav Mahlers sind es aber auch Drei frühe Lieder aus der Feder von Alma Mahler, von Gottwald für sechs- bis zehnstimmigen Chor transkribiert, die richtig lohnen! Nicht nur, weil Alma Mahlers uvre noch immer viel zu wenig bekannt ist, sondern weil es einfach faszinierende, inspirierte Musik auf der Höhe ihrer Zeit ist. Mit klar spätromantischen Wurzeln, aber auch auf dem Weg in Neuland. Dramatisch sich aufbauend Die stille Stadt, schwelgerisch die Laue Sommernacht, harmonisch unglaublich dicht und von geradezu satter Tiefe Bei dir ist es traut.
Fazit: Die beiden Mahlers und Clytus Gottwald ein Trio, das Bekanntes und Seltenes ganz neu und aufregend werden lässt.
Christoph Schulte im Walde


