Werke von Aaron Copland, Anver Dorman, Igor Stravinsky und anderen

Transatlantic

Stathis Karapanos (Flöte), Chen Reiss (Sopran), Berlin Academy of American Music, Ltg. Garrett Keast

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Onyx
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 72

Transatlantic, der Titel dieser CD, kann als treffend bezeichnet werden. Denn die auf dem Album vertretenen Komponisten sehr verschiedener Generationen sind – soweit sie nicht in den USA zur Welt kamen wie Aaron Copland (1900-1990) und Craig Urquhart (Jahrgang 1953) – über den Atlantik nach Amerika gelangt wie der Russe Igor Stravinksy (1882-1971) und der Israeli Avner Dorman (Jahrgang 1975) oder aber über den Pazifik wie der Japaner Toru Takemitsu (1930-1996).
Wohl eher zufällig entspricht der Titel der CD der 1928 von George Antheil komponierten Oper Transatlantic, die übrigens 1986/87 in Ulm als Kammerversion eingerichtet wurde. Ein paar Minuten Musik von diesem Werk hätten durchaus ebenfalls auf die CD gepasst. Dennoch ist sie bemerkenswert dank den farbigen und abwechslungsreichen Kompositionen in trefflichen Interpretationen durch die Berlin Academy of American Music unter Leitung des Dirigenten Garrett Keast.
Stravinsky wollte bei dem am Anfang stehenden Dumbarton Oaks (1937/38), einem viertelstündigen Stück in drei Sätzen aus seiner klassizistischen Phase, an Bachs Brandenburgische Konzerte anknüpfen: Die kantig gezackten Rhythmen bieten in metrischen Wechseln eine Musik, die zu den populäreren Werken seiner amerikanischen Jahre zählt. Nicht von ungefähr besitzt das Stück einen besonderen Charme, war es doch ein Auftragswerk zum 30. Hochzeitstag des auf dem Gut gleichen Namens lebenden Ehepaares Robert und Miltred Bliss.
Am Ende der CD steht Coplands für die Tänzerin Martha Graham komponierte Ballettmusik, hier gefasst als rund 25-minütige, gestaltreiche Suite Appalachian Spring für 13 Instrumente. Die Komposition beginnt mit einem Ruhepunkt aus liegenden Tönen von Streichern und Bläsern. Das darauffolgende Allegro besitzt eine an Strawinskys Stück erinnernde Lebhaftigkeit. Den Abschluss der Suite bildet ein sich maßvoll steigerndes Moderato mit der Interpretations-anweisung „Like a prayer“.
Auf Urquharts ruhevoller Lamentation ist der Flötist Stathis Karapanos mit leuchtendem Ton über einem dynamisch variierten Streicher-Teppich zu hören. Bei Dormans Nofim tritt in vier Liedern auf hebräische Texte die Sopranistin Chen Reiss mit expressivem Gestus dazu, bevor – etwa im „Demon Dance“ – das Klavier von Chelsey Padilla und die Percussion von Lukas Böhm enorme Dramatik entwickeln, die am Ende in „Levaya“ zunächst herausgenommen wird, um dann doch in einer Schlagwerk-Ex-plosion zu gipfeln.
Bevor Chen Reiss in einem langen Ausschnitt aus Stravinskys Oper The Rake’s Progress zu hören ist, wird in Takemitsus Toward the Sea II dichte, bewegende Atmosphäre verströmt. Im zweiten Satz „Moby Dick“ scheint der monströse Wal aus der ruhigen See wiederholt aufzutauchen und immer wieder zu verschwinden. „Cape Cod“ ist die letzte dieser auratischen See-Szenen, die neben Benjamin Brittens Sea-Interludes bestehen können.
Günter Buhles