Onishi, Yoshiaki

Tramespace I

für großes Ensemble, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Gravis, Brühl 2014
erschienen in: das Orchester 05/2015 , Seite 76

Bereits kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im kleinen niederländischen Dorf Bilthoven die Gaudeamus-Stiftung zur Förderung zeitgenössischer Musik gegründet, die seit 2008 ihre verdienstvolle Arbeit als Teil des Muziek Centrum Nederland fortsetzt. Vor allem ihr Kompositionspreis ist mittlerweile von größter internationaler Bedeutung. Sein Glanz sorgt oft dafür, dass die Werke der Preisträger künftig von einem international agierenden Verlag betreut werden. Bei dem 1981 geborenen Yoshiaki Onishi ist das der Fall, die Werke des Gaudeamus-Preisträgers aus dem Jahr 2010 werden mittlerweile von der Edition Gravis in Brühl verlegt.
Nach umfassenden Studien an der Columbia University in New York hat Onishi bereits mit renommierten Ensembles wie dem Asko|Schönberg Ensemble und dem New Japan Philharmonic Orchestra gearbeitet, auch durch seine Schriften und seine Dirigiertätigkeit ist er international präsent. Obwohl Onishi im Umfeld der Spektralmusik studierte – seine Lehrer waren u.a. Fabien Lévy und Tristan Murail –, ist er kein dogmatischer Spektralist. Sein ausgesprochen klangfarbenreiches Komponieren profitiert aber eindeutig von den Anregungen dieser Schule. Onishis neu erschienenes und mit 18 Instrumenten recht groß besetztes Werk Tramespace I (der Titel ist eine Wortschöpfung aus den französischen Worten trame für Gewebe/Gewebfaden und espace für Raum) ist als erster Teil eines noch zu komplettierenden Diptychons sein Hauptwerk der vergangenen Jahre, es bringt seine Auseinandersetzung mit Musik, Zeit und Raum auf den Punkt.
Wie Kett- und Schussfäden sich auf dem Webstuhl zu einer textilen Struktur verbinden, so arbeitet Onishi in seiner Musik mit mehreren Schichten von oft geräuschhaften Klängen und musikalischen Gesten:
rauschendes Atmen der Bläser, extrem hohes Flageolettpfeifen, auf den Saiten springende Bögen, perkussive Knoten vom präparierten Klavier, Geigerzähler-Klänge der Violinen. Die Struktur eines Doppel-Ensembles verleiht Onishis musikalischer Landschaft eine starke räumliche Präsenz, die Formgebung in ihrem kreisenden Gestus ist deutlich vom zyklischen Denken asiatischer Musiktraditionen geprägt. Nach einer Phase tonaler Ausbrüche der Bläser mit schnellsten Ton- und Geräuschrepetitionen endet das 18-minütige Werk mit einem perkussiv interpunktierten Verklingen.
Durch die Verwendung außergewöhnlicher Spieltechniken ist Tramespace I nur durch hochkarätige und -motivierte Spezialensembles adäquat zu realisieren, der Einsatz lohnt aber. Denn Onishis Musik führt den Hörer auf magische Art und Weise aus seinem realen Raum-Zeit-Gefühl in die Grenzenlosigkeit des metaphysischen Raums.
Tramespace I ist im Internet zu hören unter www.soundcloud.com/yoshiakionishi/tramespace1.
Stephan Froleyks