Brahms, Johannes / Arnold Schoenberg / Ludwig van Beethoven

Tragic Overture / Interlude and Song of the Wood Dove from Gurre-Lieder / Symphony No. 3 Eroica

Rubrik: DVDs
Verlag/Label: Accentus Music ACC 20282
erschienen in: das Orchester 09/2014 , Seite 85

Diese DVD ist ein wertvolles Dokument: Sie ist die letzte Bildaufnahme vor dem Tod Claudio Abbados am 20. Januar dieses Jahres. Zum anderen ist sie ein Geschenk, da niemand wusste, ob er das Eröffnungskonzert des Luzern-Festivals 2013 würde dirigieren können. Mit „Trost und Trauer“ ist daher auch der lesenswerte, sehr einfühlsame Aufsatz im Booklet dieser Veröffentlichung überschrieben. Der große Dirigent war nach seiner Krebserkrankung an das Pult zurückgekehrt, gezeichnet, doch voller Ausstrahlung, innerer Kraft und musikalischer Präsenz. An den Pulten saßen wieder ausgesuchte und handverlesene Musiker, eine Art Solistenvereinigung, die auf allerhöchstem Niveau die Intentionen des Maestros umzusetzen verstand. Durch das Bild wird die Besetzung deutlich, man erkennt viele bekannte Musiker.
Im Programm ging Abbado nicht chronologisch vor: Nach der Tragischen Ouvertüre von Brahms und der Riesenbesetzung für das Ende des ersten Teils der Gurre-Lieder (Zwischenspiel und die Stimme der Waldtaube) kehrte man im zweiten Teil zeitlich zurück zu der vergleichsweise kleinbesetzten Eroica von Beethoven. Es ist natürlich nicht wirklich ein Schritt „zurück“ , weil Abbado hier weite Räume entfaltet, weil er die Aussagekraft dieser Dritten in Proportion, Gestus und Anspruch zu einer Größe steigert, die einem das Werk durchaus neu erscheinen lässt. Das hat alles Wucht und Strenge, das gibt sich teilweise auch sperrig, weit weg von allen Romantizismen, mit denen diese Sinfonie schon belegt wurde.
Die Tragische Ouvertüre schrieb Brahms ohne äußeren Anlass, es gibt daher auch keine Programmatik für dieses Werk. Sie war vielleicht einfach das ernstere Gegenstück zur gleichzeitig entstandenen Akademischen Festouvertüre. Abbado nimmt sich der heroisch-pathetischen Klänge sehr intensiv an und erreicht eine fast unerbittliche Stimmung von Beginn an bis zum Schluss. Es ist eine Musik von gewaltigen Affekten, die in der Luzerner Aufführung eine deutliche Struktur bekommen.
Arnold Schönbergs Gurre-Lieder (uraufgeführt 1913 in Wien) waren der einzig große Erfolg des Komponisten zu Lebzeiten. Die dreiteilige Kantate ist eine mittelalterliche Liebesgeschichte: Sie behandelt die Sehnsucht des Dänenkönigs Waldemar zur schönen Tove. Doch die rachsüchtige Königin Helvig schickt einen Falken, um sie zu ermorden. Am Schluss des ersten Teils fasst das Orchesterzwischenspiel die dramatischen Ereignisse auf Burg Gurre zusammen, das erzählende Lied der Waldtaube formuliert die Geschehnisse mit Worten. Die Klangpracht und Dramatik durch eine große Besetzung findet immer wieder auch Entsprechungen in aufgefächerten Zartheiten mit fast kammermusikalischen Effekten. Die aus Japan stammende Sängerin Mihoko Fujimura, die oft mit Abbado zusammen arbeitete, singt mit konzentrierter Tonmalerei: Ihre Stimme wird zum Solo-Instrument inmitten des riesigen Orchesterapparats. Das Lucerne Festival Orchestra findet mit Abbado zu enormer Spannung und Eindringlichkeit: wirklich ein Dokument eines großen Abends.
Wolfgang Teubner