Cellokonzerte von C. P. E. Bach und Joseph Haydn

Times of Transition

Andreas Brantelid (Violoncello), Concerto Copenhagen, Ltg. Lars Ulrik Mortensen

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Naxos
erschienen in: das Orchester 02/2022 , Seite 68

So vertraut uns die drei Werke als „Individuen“ sind: In direkter Aufeinanderfolge erscheinen sie als Stationen einer „Transition“, die sich über die Mitte des 18. Jahrhunderts erstreckt und spürbar macht, mit welcher Folgerichtigkeit sich ästhetische Entwicklungen vollziehen können. Die Vorstellung, eine „Wasserscheide“ trenne die barocke Epoche vom nachfolgenden, klassisch-aufgeklärten Zeitalter, ist längst ad absurdum geführt worden. Dennoch vermag die Sequenz von Carl Philipp Emanuel Bach zu Joseph Haydn in besonderer Weise zu verdeutlichen, was in dieser Jahrhundertmitte geschehen ist: Wir vernehmen den Übergang vom Continuum vieler Stimmen zu einer fortschreitenden Individualisierung, vom „Wir“ zum „Ich“.
Das „Ich“ des großen Bach-Sohns artikuliert sich bisweilen in einer Radikalität, die Parallelen aufweist zur Literatur der Empfindsamkeit und auf heutige Hörer
„moderner“ wirken mag als die Musik der Wiener Klassik. Dennoch verweist Haydn zu Recht darauf, dass er „dem Emanuel Bach sehr vieles verdanke, (…) ihn verstanden und fleißig studiert habe“. In Haydns Musik ist die norddeutsche Sperrigkeit C. P. E. Bachs gelegentlich spürbar, zumeist aber ist ihr Gestus entspannter, keineswegs jedoch „harmloser“. Vielmehr kündet ihr lapidarer Ton von einer Geisteshaltung, die als klingendes Abbild des Kant’schen Aufklärungsideals betrachtet werden mag.
Das A-Dur-Konzert Wq 172 ist das bekannteste jener drei Konzerte, die C. P. E. Bach in Versionen für Cembalo, Flöte und eben auch für das damals in puncto Solistentum noch wenig erschlossene Cello hinterlassen hat. Die technischen Anforderungen des Werks sind beträchtlich, wenngleich der Solopart überwiegend im mittleren Lagenbereich des Instruments verbleibt und dadurch weniger spektakulär anmutet als die Solopartien der Haydn-Konzerte in C-Dur und D-Dur. Auch zwischen diesen beiden liegen freilich Welten: Verbleibt das in den 1760er Jahren entstandene C-Dur-Konzert formal weitgehend in den Ritornell-modellen barocker Konzerte, so spricht das 1783 komponierte D-Dur-Konzert die Sprache der Wiener Klassik.
Hinsichtlich ihres Repertoirewertes ist die Neuaufnahme durch den dänisch-schwedischen Cellisten Andreas Brantelid und das Concerto Copenhagen unter Leitung von Barock-Urgestein Lars Ulrik Mortensen vielleicht nicht übermäßig spannend, musiziert wird jedoch auf höchstem Niveau und mit durchaus originellen Akzenten.
Brantelid erfüllt sowohl die kantablen als auch die behänden Partien mit bemerkenswerter agogischer Freiheit: Er beherrscht perfekt das „Tempo rubato“. Er zeigt sich zudem als Virtuose von hohen Graden. Der außergewöhnlich dunkle und zugleich prägnante Sound seines Cellos (er spielt ein Instrument des dänischen Meisters Emil Hjorth von 1887 mit Darmsaiten) mischt sich herrlich mit dem blitzsauberen, zugleich vollen wie schlanken Klang des versierten Barockensembles. Eine schöne, interessante, „individuelle“ Aufnahme!
Gerhard Anders