Gershwin, George
Three Preludes für Streichquartett
arr. von Ernst-Thilo Kalke, Partitur und Stimmen
George Gershwins Schaffen stellt prototypisch die Überwindung der Grenzen zwischen sogenannter U- und sogenannter E- Musik dar. Viele seiner Songs sind Jazz-Standards geworden, seine Konzertmusik und die Oper Porgy and Bess feste Bestandteile des Repertoires. Die drei Preludes aus dem Jahr 1926 sind trotz ihrer Kürze wichtige Originalklavierstücke, die für diesen Komponisten Charakteristisches zeigen: eine einprägsame, nie banale Melodik, eine gut ausgehörte, dissonanzreiche Harmonik, Tanzrhythmen, hier noch verbunden mit verschiedenen Ausprägungen der A-B-A-Form als Referenz an das lyrische Klavierstück der Romantik. Ein Arrangement für Streichquartett kann daher eine willkommene Bereicherung der Stückeliste sein (von Jascha Heifetz existiert eine Fassung für Violine und Klavier).
Bei Einrichtungen sollte entweder das Original soweit wie möglich beibehalten oder aber deutlich abweichend von diesem arrangiert werden. Ernst-Thilo Kalke entschied sich zu Recht für die erste Möglichkeit, da diese Preludes sehr bekannt sind. Aber er bleibt dabei inkonsequent, allen Schlussakkorden fügt er eine Sexte hinzu (nur das bluesartige zweite hat hier eine Dissonanz, die kleine Septime), die letzten beiden Takte des Andante ersetzt er irritierenderweise durch einen eigenen Fünftakter.
Die Tonartenfolge B-Dur, cis-Moll, es-Moll (die Grundtöne bilden den Beginn der Blues-Tonleiter) ist hier streicherspezifischer als B-Dur, d-Moll, e-Moll gefasst. Meist werden für die vier Instrumente charakteristische Lagen gewählt, die Rhythmen gut spielbar aufgeteilt. Der Part der 1. Violine ist in der Schwierigkeit herausgehoben, kaum realisierbar ist ein Spiel in Oktaven im ersten Allegro. Zuweilen fehlen wichtige Akkordtöne (z.B. Nr. 1, T. 33 ff.) oder auch Basstöne (Nr. 3, T. 29 ff.), leider auch die Pendel-Gegenbewegung im zweiten Blues-Chorus.
Der Notentext ist gut lesbar und enthält kaum Fehler (ein Kontra-B auf dem Cello, eine None als Basston, Nr. 2, T. 13). Da Streicher üblicherweise nicht temperiert spielen, könnte die Intonation in einigen Takten durch die gegenüber dem Original abweichende Notation getrübt werden, als Beispiel Nr. 1, T. 22, dritte Achtelnote: Hier steht e d as1 des1, Gershwin hält die Logik des Terzenaufbaus ein, e d gis1 cis1 ist dann als E7/13-Akkord lesbar.
Kalkes Arrangement ist für fortgeschrittene Quartette geeignet. Da wenig Vortragsbezeichnungen angegeben sind, sind klare Absprachen während der Probenarbeit nötig. Die Bearbeitung hätte noch spezifischer für die vier Streichinstrumente angelegt werden können. Es fehlen z.B. Flageoletts oder Glissandi, ebenso ein Hinweis, wie rasches Wechseln zwischen arco und pizz. umzusetzen sein soll. Dennoch bildet diese Veröffentlichung eine sinnvolle Bereicherung des Repertoires.
Christian Kuntze-Krakau