Foulds, John

Three Mantras from “Avatara”

op. 61, Studienpartitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Musikproduktion Höflich, München 2014
erschienen in: das Orchester 02/2015 , Seite 71

Wenn der Begriff „Originalgenie“ einen Sinn ergibt, dann sicherlich in Bezug auf den britischen Komponisten John Foulds (1880-1939). Foulds entwickelte eine hochindividuelle Tonsprache, die mit der seiner Zeitgenossen kaum oder gar nicht zu vergleichen ist, benutzte als erster europäischer Komponist Vierteltöne und strebte in seiner Musik eine Synthese westlicher und östlicher (konkret: indischer) Elemente an, lange bevor das Schlagwort „Weltmusik“ zum Trend wurde. Jahrzehntelang wurde Foulds’ Musik kaum aufgeführt, und an Notenmaterial war nur äußerst schwer heranzukommen.
Dies ändert sich nun rapide: Bei der Musikproduktion Höflich ist eine große Foulds-Edition im Entstehen begriffen, mit vielen Erstdrucken seiner Orchester-, Kammer- und Klaviermusik – ediert aus den Autografen, die sich größtenteils im Besitz des jüngst verstorbenen schottischen Musikforschers und Foulds-Experten Malcolm MacDonald befanden.
Erstmalig im Druck erschienen ist nun Foulds’ vielleicht wichtigste Orchesterpartitur überhaupt: die Three Mantras aus der unvollendeten Oper Avatara. Sujet der Oper, von der außer den Mantras nichts übriggeblieben ist, war wohl die hinduistische Gottheit Krishna; die drei von Foulds ausgekoppelten Mantras stellten die orchestralen Einleitungen zu den drei Akten dar.
Die 1930 vollendete Partitur ähnelt in der formalen Anlage – ein ruhiges Mittelstück wird von zwei rhythmisch bewegten und dramatisch zugespitzten Sätzen umrahmt – einer Sinfonie. Jedes der drei Stücke hat eine Bewusstseinsebene der Sanskritlehre zum Thema: Dem Mantra of Action als Verkörperung der „mentalen“ Ebene folgt das Mantra of Bliss (Intuition) und schließlich das Mantra of Will (Spiritualität). Die Musik verbindet höchstes orchestrales Raffinement mit einer geradezu orgiastischen rhythmischen Energie, aber auch mit strengster Konstruktion: Die Grundelemente erscheinen sogleich zu Anfang und ziehen sich in mannigfachen Variationen und Verästelungen durch alle drei Sätze. Im Finale findet sich zudem eine konsequente Verwendung modaler Prinzipien: Foulds sammelte neunzig verschiedene Modi, von denen eines das Grundmaterial für das Mantra of Will bildet – lediglich sieben Töne (plus Oktavversetzungen), zusammengefasst unter einen gnadenlosen 7/8-Rhythmus. Vergleichbares wurde in den 1920er Jahren nicht komponiert.
Es ist zu hoffen, dass sich durch diesen Band Dirigenten und Orchester berufen fühlen werden, diese Musik zu studieren und aufzuführen. Die Ansprüche an die Ausführenden sind – vor allem auf rhythmischer Ebene – nicht zu unterschätzen, ebenso wenig jedoch die Wirkung auf den Hörer, die nur als hypnotisch beschrieben werden kann.
Durch ihre Größe (38 x 27 cm), aber auch durch die exzeptionelle Qualität des Notendrucks ist die Partitur ausgezeichnet lesbar. Außer einem sehr lesenswerten umfangreichen Vorwort von Christoph Schlüren finden sich eine Tabelle der von Foulds gesammelten Modi sowie einige Seiten aus dem handschriftlichen Manuskript.
Thomas Schulz