Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft (Hg.)
Thema: Kultur der Nachhaltigkeit
Fachbeiträge/Kulturstatistik/Literatur. Jahrbuch für Kulturpolitik 2021/22
Um einen Überblick über die große Debatte um Nachhaltigkeit im Kontext von Kulturpolitik und Kulturellem Handeln zu gewinnen, bietet dieses umfangreiche Werk, in dem auf über 500 Seiten über 50 Annäherungen an das Thema Nachhaltigkeit zusammengefasst sind, einen guten, vielfältigen Einstieg. Zugleich sind die Texte ein Geschichtsbuch der Auseinandersetzung mit einem Thema, das zunehmend die Diskussion bestimmt. Vor 20 Jahren von Bernd Wagner und Hildegard Kurt auf die Agenda gesetzt, mit dem „Tutzinger Manifest“ im Rahmen einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing und der Regionalgruppe Bayern der Kulturpolitischen Gesellschaft in Form gegossen und seitdem – zunächst zögerlich – Aufmerksamkeit und Relevanz beanspruchend ist es heute eine der zentralen Kategorien der Kulturpolitik. Ja, Kultur hat ihren Platz als vierte Dimension der Nachhaltigkeit erobert: Sie steht an der Seite von Ökonomie, Ökologie und Sozialem. Den langen Weg dorthin zeichnet dieses Jahrbuch nach, und es markiert die mühevollen Stationen der Hinterfragung des Wachstumsmythos und des Innovationsdrucks, der immer hinter der Entwicklung von Kunst und Kultur lauert, ja seine treibende Kraft zu sein scheint. Unauflösbarer Widerspruch?
Als dies Jahrbuch geplant wurde, wusste man noch nichts von Corona und schon gar nichts vom Ukraine-Krieg, welche Klimakrise und Ressourcenendlichkeit neu zuspitzten und andere politische Antworten verlangten: eben „Nachhaltigkeit“. Aber die versuchten Antworten sind unendlich vielfältig und somit auch wiederum wenig besagend. Geht es um materielle Ressourcen, die einzusparen sind wie die Reduktion von Fernreisen großer Sinfonieorchester oder die Absenkung von Raumtemperatur in Museen? Geht es um Recycling von Material beim Bühnenbau? Geht es um Beendigung der leidigen Projektförderungphilosophie, die ja per se nicht nachhaltig sein kann, weil die Projekte begrenzt sind und immer wieder neuen Innovationsdruck ausüben? Geht es um kluge Experimente wie in der Kulturverwaltung der Stadt Bonn als Labor für klimaneutrale Gesellschaft? Geht es um den Abschied vom großen Wachstumsparadigma, das der Kultur innewohnt? Ist kulturelle Bildung a priori nachhaltig? Gehört Nachhaltigkeit zum genetischen Code der Soziokultur und ist diese somit „gut“? Gibt es besonders nachhaltige Kulturentwicklungsplanung? Hilft das britische Modell von „Julie’s Bicycle“ weiter, wo Schadensbegrenzung als eine eher einfache Lösung erscheint? Oder ist der hoffnungsvolle Song Alles wird gut die Antwort, von der man genau weiß, dass sie nicht stimmt? Das bedeutet aber nicht, dass man nicht weiter nach ihr suchen muss.
Dorothea Kolland