Frei, Marco

“Theater muss der Gesellschaft etwas wert sein”

Im Interview mit Harald Mayr, langjähriger Geschäftsführender Kaufmännischer Direktor des Tiroler Landestheaters in Innsbruck

Rubrik: Aufsatz
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 30
?Seit über 40 Jahren wirkt Harald Mayr am Tiroler Landestheater in Innsbruck, davon seit 25 Jahren als Geschäftsführender Kaufmännischer Direktor. In seiner Amtszeit wurde das Haus in eine GmbH umgewandelt und das Orchester betrieblich integriert – Grund genug für eine Bilanz.

Herr Mayr, ist die GmbH ein Allheilmittel?
Nein. Das GmbH-Recht ist nicht auf Theater zugeschnitten, wird aber von manchen Politikern als Allheilmittel betrachtet, um aus der Subventionierung herauszukommen und dem Theater die Finanzierung komplett zu überlassen. Wenn ich eine Führung im Haus mache, wird oftmals die Frage gestellt: „Wenn das Stück immer ausverkauft ist, wozu braucht das Theater dann noch Subventionen?“ Ich antworte dann, dass auf der Bühne zwar 20 Leute stünden, insgesamt aber 100 und mehr beschäftig seien – im Orchestergraben, hinter der Bühne. Dann beginnt es in den Köpfen zu rattern, und die Leute verstehen, was für ein Aufwand geleistet wird.

Ihr Fazit?
Ein Theater kann sich nie selber erhalten. Theater muss der Gesellschaft etwas wert sein. Die Gesellschaft und die Geldgeber – Stadt, Land und Bund – müssen aber wissen, dass mit den Mitteln sparsam und effizient umgegangen wird. Es wäre wichtig, eine eigene Rechtsform für Theater zu schaffen, die dem Gesetz entspricht, in der das Personal am Theater angestellt ist und es eine Rechtssicherheit gibt, die aber auch auf die Besonderheiten des Theaterbetriebs Rücksicht nimmt – so die gemeinnützige GmbH in unserem Gesellschaftsvertrag.

Was heißt das konkret?
Eine Subvention wird fixiert, mit der man fern aller Kameralistik auskommen muss. Sehr wichtig wäre eine längerfristige Finanzierungszusage, denn ohne sie lebt jedes Theater unter einem Damoklesschwert. Wir haben nur eine jährliche Finanzierungszusage, wichtig wäre aber eine fünfjährige. Das wollte man mit der GmbH ursprünglich auch verknüpfen, wurde in Tirol aber nicht eingehalten und uns von der Politik nicht zugestanden.

Mit welchen Folgen?
Dass man wenig Planungssicherheit hat. Bei uns sind die Planungen für 2012 schon längst abgeschlossen. Aufgrund unserer Erfahrungen wissen wir, wo wir etwas auffangen können. Aber wir können uns Flops nicht erlauben. Wir pflegen in Innsbruck auch moderne Opern, und wir haben auch Uraufführungen im Konzertprogramm. Als Geschäftsführender Kaufmännischer Direktor habe ich auf den Spielplan relativ wenig Einfluss, aber Gott sei Dank legt Intendantin Kammersängerin Brigitte Fassbaender auch großen Wert auf die Auslastung.

Warum „Gott sei Dank“?
Mir ist ganz wichtig, dass moderne und neue Werke verkaufsfähig sind – auch wenn wir laut Vertrag verpflichtet sind, diese Projekte zu machen. Wir werden nicht subventioniert für gängige Stücke, für Operetten oder Unterhaltungstheater, sondern man verlangt von uns, dass wir mindestens ein Drittel für zeitgenössische Künstler einsetzen und risikobereit sind. Es bedarf aber einer großen Erfahrung, dass man mit den Mitteln auch auskommt.

Mit welchen Mitteln müssen Sie auskommen?
Im Vergleich zu anderen Häusern unserer Größe sind wir budgetär sehr sparsam aufgestellt. Wir haben innerhalb des Theaters inklusive Orchester an die 20 Millionen Euro Zuschussbedarf. Vergleicht man das mit deutschen Theatern, ist das sehr wenig. Hier ist die Einsparungsmöglichkeit äußerst gering, weil wir über 450 Vorstellungen herausbringen. Da sind die Konzerte im Congress, das Große Haus und die Kammerspiele integriert. Wir müssen jeden Tag zwei oder drei Häuser füllen. Wir hatten 2010 an unseren drei Spielstätten eine Auslastung von über 90 Prozent, und zwar zahlende Besucher. Wir haben bis 2012 die Zusage, dass das Budget unangetastet bleibt.

Wie setzt es sich zusammen?
Wir bekommen vier Millionen Euro vom Bund und den Rest von Land und Stadt. Sponsorenbeiträge sind bei uns nicht vorhanden. Bei uns gibt es zu wenig Unternehmen, die bereit sind, Gelder, die ins Gewicht fallen, bereitzustellen. Würden Stadt, Land und Bund als Geldgeber ausfallen, hätten wir es sehr schwer. Tirol ist nicht der Standort, wo Industrie und Wirtschaft finanziell so ausgestattet sind, dass sie dem Landestheater nachhaltig unter die Arme greifen könnten. Das war schon immer so.

Sagen Sie also, dass Kunst wesentlich von Subventionierungen lebt und sich daran nichts ändern soll und darf – zumal die gesellschaftliche Selbstverständlichkeit in Österreich für Klassik wohl einmalig ist auf der Welt?
Ganz eindeutig: ja. Stadt, Land und Bund müssen wissen, was ihnen Kunst und Kultur wert sind. Sie haben in Österreich und auch in Tirol einen derartigen Stellenwert, dass ich – nicht nur als subjektiver Betrachter – betone, dass sich dies ein Land leisten können muss. Im Gesamtausmaß der Subventionen fließt immer noch ein geringer Betrag in Kunst und Kultur. Wenn auch dieser gekappt wird, müssen wir uns fragen, für was Österreich einen überregionalen Stellenwert hat in der Kunstbetrachtung und im Theaterwesen. Da sehe ich uns weit entfernt von einigen deutschen und vor allem norddeutschen Kommunen. Unsere Politiker sind stolz, wenn sie ins Theater gehen. Ganz wichtig ist, dass sie von Menschen angesprochen werden: „Das war wieder eine tolle Vorstellung.“ Umso besser, wenn man keine Karte mehr bekommt und sich Besucher in Briefen über ausverkaufte Vorstellungen beschweren. Da hüpft mein Herz ganz besonders.

Und wo noch?
An anderen Theatern wie etwa in Klagenfurt wurde das Tanztheater abgeschafft, zudem gab es Wechsel von fixen, festen Ensembles zum Gastiertheater. Das ist bei uns nicht geschehen, im Gegenteil: Das Ensembletheater wurde ausgebaut. Bei uns wird zusätzlich Wert darauf gelegt, junge talentierte Sänger einzubinden und wachsen zu lassen. Einige Sänger rekrutiert unsere Intendantin im Rahmen ihrer Meisterkurse. Die ausgewählten Sänger werden mit einem eher niedrigen Gehalt bei uns angestellt und erleben an ihrer Seite einen Aufstieg – zumeist. Sie berät auch selber gesangstechnisch.

Ist die Arbeit mit jungen, günstigen Nachwuchskräften nicht vornehmlich den wirtschaftlichen Bedingungen geschuldet?
Das kann man nicht so pauschalisieren. Wir machen das in erster Linie, um junge und nach Möglichkeit einheimische Sänger an große Aufgaben heranzuführen. Die Intendantin ist sehr bestrebt, sie nach drei, vier Jahren, wenn sie sozusagen an der Decke anstoßen, an große Häuser zu vermitteln. Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sind bei uns nur in zweiter Linie der Grund für diese Ensemblepolitik. Die Intendantin hat für sich stets eine pädagogische Aufgabe darin gesehen, Sänger aufzubauen und zu entwickeln.

Seit 2005 ist das Orchester betrieblich am Theater eingebunden.
Ja, aber ein Teil der Musiker ist vertraglich noch bei der Stadt verblieben. Es ist ein Prozess von schätzungsweise 30 Jahren, bis alle Orchestermitglieder bei der GmbH angestellt sein werden. Die Schwierigkeit war früher, dass die Stadt bestrebt war, das Orchester für ihre Sinfoniekonzerte freizuschaufeln und möglichst mit ordentlicher Probenmöglichkeit auszustatten, während das Tiroler Landestheater ebenso bestrebt war, seine Vorstellungen mit vielen Proben gut vorzubereiten. Da ist es zu Rivalitäten gekommen. Das hat sich geändert, durch die Fusion kann man effizienter planen. Es gibt kürzere Entscheidungswege, und die Musiker haben ein Gefühl der Zusammengehörigkeit mit dem Theater. Das hat zuvor teilweise gefehlt. Die Ansprechpartner für die Musiker waren früher dem Betrieb nicht so nahe stehende Beamte.

Was hat sich vertraglich geändert?
Für das Orchester haben wir in langen Jahren einen neuen Kollektivvertrag für neue Mitglieder ausgehandelt. Das war ein wichtiger Schritt. Dafür haben wir von Anfang an mit den Gewerkschaften und den Betriebsräten den Text ganz neu gedacht und einen eigenen Vertrag ausgehandelt, der auf großen Zuspruch gestoßen ist. Man könnte von einem Hauskollektivvertrag sprechen.

Was sind die wesentlichen Besonderheiten?
Wir sind weggekommen von einem Kollektivvertrag der Beamten und Vertragsbediensteten hin zu einer leistungsgerechteren Bezahlung. Man nimmt mehr Rücksicht auf verschiedene Funktionen bzw. Positionen. Die Einstiegsgehälter sind heute höher, weil man ja nur gute Musiker bekommt, wenn sie sich überhaupt den hohen Lebensstandard in Tirol leisten können. Und auch die Orchestermusiker wollten hin zu einer leistungsadäquaten Bezahlung. Mit Zulagen ist man dem nachgekommen. Wir achten sehr darauf, wie sich jemand entwickelt und mit der Stimmgruppe harmoniert. Wir haben zwar noch nicht die Erfahrungen aus einem längeren Zeitraum, aber ich nehme mit Stolz und Freude eine starke Leistungssteigerung wahr.

Eine leistungsorientierte Bezahlung erhöht aber auch den Druck zwischen den Musikern, was für die interne Atmosphäre Gift sein kann.
Das ist sehr klug formuliert, aber ich hebe das Positive hervor. Was ich empfinde und was mir auch von Musikern gesagt wird: Sie fühlen sich bei uns gut aufgehoben und in ihren Problemen ernst genommen. Bei uns gibt es generell offene Türen. Es gibt keine Termine, sondern wenn jemand ein Problem hat, kann er es zumeist sofort vortragen. Das kann zwar anstrengend sein, dafür hat man aber automatisch eine gute Gesprächsbasis mit den Mitarbeitern, man teilt den Enthusiasmus für das Theater. Jeden Wunsch kann man natürlich nicht erfüllen. Ja, wir überprüfen, wie sich ein Musiker bewährt. Aber wenn er sich gut bewährt, versucht man ihn so zu pflegen, dass er einmal eine vordere Position einnimmt und sich auch im Gehalt steigert. Es geht also nicht um Kämpfe Tutti gegen Tutti oder Konzertmeister gegen Konzertmeister (bei uns rotieren sie), sondern es gilt, das Potenzial eines Musikers zu erkennen und zu fördern, dass er sein berufliches Ziel in Innsbruck sieht.

Was sollte man heute mitbringen, um die Position des geschäftsführenden Direktors erfolgreich auszufüllen?
Gut wäre ein Jurist, ein Wirtschafter, der die Hausaufgaben erledigen kann. Wichtig ist eine Strategie, aber das wichtigste ist das Feuer für das Theater und das Verständnis für die Kunst. Es nützt Ihnen als Geschäftsführer nichts, wenn Sie gegen den Intendanten arbeiten, wenn Sie sagen: „Der macht ein Stück, das schaut sich niemand an, dafür stelle ich das Geld nicht zur Verfügung.“ Reibereien bringen nichts. Bestenfalls ist der Intendant auch ein Kaufmann und der kaufmännische Direktor auch ein künstlerisch denkender Mensch. In Österreich braucht man zudem einen sehr guten Draht zu den Entscheidungsträgern von Stadt, Land und Bund. Sie müssen in wichtige Prozesse eingebunden werden, um sich mit dem Theater zu identifizieren, ohne sie andauernd zu belasten.

Sind die halbstaatlichen Stiftungen im krisengeschüttelten Italien ein Allheilmittel?
Sie müssen das je nach Regionen differenziert betrachten. In der Schweiz haben Stiftungen ein besonderes Gewicht, und auch viele deutsche Ballungszentren sind mit Industrie und Wirtschaftsbetrieben ganz anders positioniert. Tirol ist ein Fremdenverkehrsland. Wer soll uns denn Geld geben, das auch ins Gewicht fällt?

www.landestheater.at