Ernst von Dohnányi

The Veil of Pierrette

ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Ltg. Ariane Matiakh

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Capriccio
erschienen in: das Orchester 07-08/2020 , Seite 69

Es ist lange her, dass sich die Tanzpantomime Der Schleier der Pierrette op. 18 von Ernst von Dohnányi (1877-1960) nach ihrer Uraufführung 1910 explosionsartig über die Bühnen der Welt verbreitete und der Hochzeitswalzer daraus ähnlich beliebt war wie die Walzerfolge aus dem nur ein Jahr später uraufgeführten Rosenkavalier von Richard Strauss und noch lange in Radiowunschkonzerten zu hören war. Der Komponist, Vater des Widerstandskämpfers Hans von Dohnányi sowie Großvater des Politikers Klaus von Dohnányi und des Dirigenten Christoph von Dohnányi, krönte damit seine frühe Wiener Schaffensperiode zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Er wählte das heute ungewöhnlich erscheinende Genre ganz entsprechend dem damaligen Zeitgeist, der nach den großen Handlungsballetten der Spätromantik in der Pantomime eine sowohl intimere als auch naturalistischere Möglichkeit des Ausdrucks suchte und die körperlichen Bewegungsweisen noch prägnanter einbeziehen konnte als bei einem ausschließlich durch klassischen Tanz geprägten Stück. Das Libretto, eine finstere Variante einer Commedia-dell’Arte-Geschichte, stammt von keinem Geringeren als Arthur Schnitzler: Pierrette liebt Pierrot, heiratet aber Arlecchino. Ein gemeinsamer Selbstmord scheitert und durch den fehlenden Schleier misstrauisch geworden, zwingt Arlecchino Pierrette, Pierrots Tod noch einmal zu durchleben, woran sie wiederum stirbt. Die Musik verbindet Dohnányis Mentor Johannes Brahms mit dem Wiener Walzer, zeigt aber auch schon viel eigenes Profil, schwankt zwischen filigraner Verspieltheit und vorweggenommenem Stummfilm-Pathos. Diese erste Gesamtaufnahme zeigt, dass der fulminante Hochzeitswalzer zu Beginn des mittleren der drei unmittelbar ineinander übergehenden Akte (die deshalb mit gut 80 Minuten eine einzige CD füllen) mit Recht die bekannteste Passage der Partitur ist  Dazwischen gibt es sicherlich viele geistvolle Momente, aber auch viel Füllwerk, das als Bühnenmusik wahrscheinlich eine gewisse Wirkung entfaltet, für sich selbst genommen aber nicht sonderlich spannend erscheint. Schade, dass die Aufnahme nicht noch mehr Wiener Charme und Schmäh versprüht, spielt hier doch eines der führenden Orchester der österreichischen Hauptstadt. Und auch die 1980 in Frankreich geborene Dirigentin Ariane Matiakh wurde dort ausgebildet. Sie betont eher die elegante als die dramatisch zugespitzte Seite des Werks, bemüht sich mit begrenztem Erfolg um präzises Zusammenspiel und klare Artikulation. Immerhin kommen die feinen Klangfarben (Englischhorn!) und subtilen Satztechniken durchaus zur Geltung.

Ingo Hoddick