Anton Bruckner
The Symphonies – The Story – The Film
Stiftsbasilika St. Florian, 2017-2019. Münchner Philharmoniker, Ltg. Valery Gergiev, inkl. Dokumentation und 2 Bücher
Kommt er nun oder kommt er nicht – der Beckenschlag im Adagio-Satz der 7. Symphonie von Anton Bruckner? Chefdirigent Valery Gergiev und seine Münchner Philharmoniker haben sich bei ihrer Einspielung der Gesamtausgabe der Symphonien für die eigenhändige und eindeutige „gilt“-Anweisung des Komponisten entschieden. „Als wir unseren Bruckner-Zyklus in Angriff nahmen, war es uns eine besondere Ehre, alle Symphonien auf Einladung des Brucknerfestes auch in der Stiftsbasilika St. Florian in der Nähe von Linz aufzuführen“, so Maestro Gergiev im Booklet. „Hier hat Bruckner einen Großteil seiner Jugend verbracht, und hier liegt er auch begraben.“ Ein authentischer Ort also für die Livemitschnitte in den Septembermonaten der Jahre 2017 bis 2019. Wobei allerdings zwei frühe Studiensymphonien, darunter die als „Nullte“ bekannte d-Moll-Symphonie, ausgespart bleiben.
Was gilt oder nicht? Urfassung, Originalfassung, Fassung letzter Hand: Vor dieser Entscheidung steht wohl ein jeder Dirigent, der Bruckners Musik zum Klangleuchten bringen will. Manchmal veränderte der Komponist seine Werke aus eigenem Antrieb, oft aufgrund feindseliger, verständnisloser Kritik, meistens jedoch unter dem fatalen Einfluss „wohlmeinender“ Freunde, deren ungefragter Ratschläge oder eigenmächtiger Eingriffe in seine Partituren er devot zustimmte.
Gergiev entschied sich dagegen für jene möglichen Fassungen, die seinen Intentionen entsprachen. Das Ergebnis: Glanzvoller und extensiver lassen sich Spannungsfelder kaum ausforschen, opulente Klangmassierungen erstaunlich transparent erhören und lyrische Episoden in verhaltener Intensität nachlauschen. Seine Erkundungen gleichen bergsteigerischen Exkursionen durch gewaltige Gebirgsmassive. Daran teilzunehmen und sie zu ersteigen, erzeugt sowohl den Musikern als auch dem Publikum hörbare Wonneschauer. Gergiev hat stets das große Ganze im Blick und lässt einem die Zeit, sich an den vielen am Wegesrand liegenden Details erfreuen zu können. Man spürt seine Sensibilität, genießt mit ihm und den Musikern den langen Gipfelaufstieg nebst ausdrucksreichem Panoramablick und deren formidable Fähigkeit, jeder Symphonie den ihr eigenen Charakter zu geben.
Kaum nachlassende Spannung, dynamische Differenzierungen und ein sicheres Gespür für die Form (alle Ecksätze haben Sonatenform mit drei Themen, alle langsamen Sätze sind ähnlich gebaut und alle Scherzi dreiteilig) verhelfen den spätromantischen Gefühlswelten (4. Symphonie) durch der Musiker klangsinnliches Spiel genauso zu gebührender Wirkung wie das harmonische Neuland der tonal mehrdeutigen 8. Symphonie. Erwähnt werden muss auch die solide Kameraführung, die den Kirchenraum mit seiner Gemäldepracht und seiner architektonischen und figuralen Üppigkeit ins Blickfeld rückt. Nicht weniger gelungen die filmische Dokumentation (Regie: Reiner E. Moritz) mit Interviews über „Anton Bruckner – Das verkannte Genie“. Nun nicht mehr!
Peter Buske