Ludwig van Beethoven

The Symphonies

Chamber Orchestra of Europe, Ltg. Yannick Nézet-Séguin

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Grammophon
erschienen in: das Orchester 04/2023 , Seite 66

Aufnahmen aller neun Sinfonien Ludwig van Beethovens als Paket auf den Markt zu bringen, war im Vinyl-Zeitalter zwar denkbar, in punkto Vermarktung jedoch schwierig. Die Einführung der CD hat solche Produktionen erst sinnvoll gemacht. Kein Wunder, dass seit Jahren ständig neue CD-Zyklen auf den Markt kommen mit Dirigenten von Herbert von Karajan und Wolfgang Sawallisch bis Mariss Jansons, Christian Thielemann und Philippe Jordan. Die Produktion Thielemanns mit den Wiener Philharmonikern hat in den Medien heftigste Polemiken ausgelöst: „ein Beethoven ohne Sinn und Verstand“ oder „Schlaftherapie pur“ bis zu „hervorragend in Klang, Schwung und Präzision.“
Wie kann man also über einen solchen „kompletten“ Beethoven schreiben? Anstelle einer bloßen Wiedergabe von Fakten werde ich aus den fünf CDs des Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung des 1975 geborenen Franko-Kanadiers Yannick Nézet-Séguin, der in Europa vor allem bei Orchestern in Rotterdam, London und Dortmund wirkt, hier jene Sätze auswählen und besprechen, die ich am meisten schätze.
Auf CD 1 springt das Minuetto-Allegro der Sinfonie Nr. 1 hervor und entwickelt sofort große Spannung. Bemerkenswert ist, wie die flüssigen Streicherlinien hinter den stark rhythmischen Bläsern doch präsent bleiben (dies auch dank sorgfältiger Klangregie), sodass sich ein organischer Dialog ergibt, an den sich das Finale unmittelbar anschließt. – Der berühmte Adagio-Trauermarsch der Sinfonie Nr. 3 Eroica hat große Würde. Die einzelnen Streicher-Deklamationen wirken in kraftvollem wie auch in reduziertem Volumen sehr plastisch. – Bei der Sinfonie Nr. 6 Pastorale am Beginn von CD 2 werden die atmosphärischen Bilder perfekt getroffen: Nach „Donner. Sturm“, mit einem heftigen Schlag begonnen, nimmt der idyllische Hirtengesang den Hörer gefangen. Der erste Satz der Sinfonie Nr. 8 beeindruckt in den Kont­rasten von harten Rhythmen und weichem Fluss.
CD 3: Das Larghetto der Sinfonie Nr. 2 wirkt wie eine konzentrierte Erzählung. Bei der Sinfonie Nr. 5 zeigt sich der Zusammenhang der hart gesetzten „Schicksalsschläge“ der Eröffnung mit dem beruhigenden Andante im zweiten Satz als sehr harmonisch. – Auf CD 4 bricht nach der Adagio-Einleitung das Allegro Vivace der Sinfonie Nr. 4 geradezu mit Urgewalt hervor. Die Sinfonie Nr. 7, vielleicht Beethovens großartigste Schöpfung, bietet viel Gedankentiefe im faszinierenden Allegretto. CD 5 ist ganz der Neunten mit dem Sängerquartett Siobhan Stagg (Sopran), Ekaterina Gubenova (Alt), Werner Güra (Tenor) sowie Florian Boesch (Bariton) und dem Chor Accentus vorbehalten.

Günter Buhles