Johannes Brahms

The Symphonies

Konzerthausorchester Berlin, Ltg. Christoph Eschenbach

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 74

Zur Saison 2019/20 hat der nun 82-jährige Christoph Eschenbach das Konzerthausorchester Berlin als Chefdirigent übernommen. Nach einer CD mit Werken von Carl Maria von Weber anlässlich des Jubiläums zum 200-jährigen Bestehen des Konzerthauses sollten nun Livemitschnitte der vier Sinfonien von Brahms folgen.
Aufgrund der Pandemie konnten nur die erste und die dritte Sinfonie im November 2019 bzw. Februar 2020 vor Publikum gespielt werden, während die zweite und vierte Sinfonie im Herbst 2020 im leeren Konzerthaus produziert werden mussten. Diese Situation hat sich nicht auf die Qualität der Aufnahme ausgewirkt, wie Christoph Eschenbach im Gespräch mit Arnt Cobbers, welches einen wesentlichen Teil des Booklets ausmacht, bemerkt: „Wir haben uns vor allem daran gewöhnt, dass wir alles geben müssen, auch wenn das Publikum nicht da ist. Dass wir vor einem leeren Saal spielen müssen, hat uns nicht limitiert.“
Diese Aussage wird durch die Aufnahme der Sinfonien ausnahmslos bestätigt. Das Konzerthausorchester Berlin spielt durchweg mit einer sehr hohen Intensität und emotionalen Dichte, nicht nur live gleich zu Beginn in der spannungsgeladenen Introduktion der ersten Sinfonie, sondern auch in der Studio-Atmosphäre des leeren Konzerthauses beim besonders impulsiven, zum geradezu jubelnden Schluss drängenden Finale der zweiten Sinfonie.
Eschenbach hat mit dem Orchester bei der Interpretation keine neuen Wege beschritten, er baut vielmehr auf seiner intensiven Beschäftigung mit dem Werk auf und vermittelt dabei eine in sich sehr schlüssige Sichtweise, die in der Konzeption auf flüssigen Tempi mit geringen Nuancen zur Verdeutlichung von formalen Schnittstellen und besonders auf einem auf Klarheit bedachten, sehr harmonischen Klangbild beruht. Dabei kommt ihm der in allen Lagen weich grundierte, warme Klang der gesamten Streichergruppe und die Homogenität der einzelnen Gruppen bei der detailgenauen, jegliches Pathos vermeidenden Ausgestaltung der Themen sehr entgegen.
Die Holzbläser und Blechbläser gestalten ihre Solostellen ebenso mit äußerst kultivierter Tongebung und emotionaler Tiefe. Eschenbach verwendet auch viel Aufmerksamkeit auf die Begleitstimmen, die z. B. im Kopfsatz der vierten Sinfonie oder auch beim Violoncello-Thema im ersten Satz der zweiten Sinfonie sehr klar zur Geltung kommen. Dies alles zeugt von einer tiefen Durchdringung der Partitur und der Kunst, ohne jegliche Attitüde daraus ein spannungsvolles Musikerlebnis werden zu lassen.
Die Wertschätzung ihres neuen Chefs belegen die Aussagen einiger Orchestermitglieder, die im Booklet über dessen Arbeitsweise und Vorstellungen berichten. Mit dieser Gesamtaufnahme der Sinfonien von Brahms ist ein beglückender „Arbeitsprozess“, wie Eschenbach sagt, abgeschlossen worden. Weitere mögen folgen.
Heribert Haase