Schubert, Franz

The Symphonies

Kammerakademie Potsdam, Ltg. Antonella Manacorda

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Music 88875156982
erschienen in: das Orchester 06/2016 , Seite 71

Noch ’ne Gesamtaufnahme der Sinfonien Schuberts. Zu den zum Teil älteren Aufnahmen mit Dirigenten wie Böhm, Karajan, Sawallisch, Kertesz, Barenboim, Wand, Blomstedt, Davis, Harnoncourt, Marriner, Abbado, Nott, nicht zuletzt Rattle – diese Liste mit der Tendenz zur Zweit­einspielung ist unvollständig – ist nun eine weitere dazugekommen: Die Kammerakademie Potsdam unter der Leitung von Antonella Manacorda reiht sich in die lange Reihe mit ein. Weitere Gesamtaufnahmen sind in Vorbereitung. Da kann es einem schon schwindlig werden…
Außerdem gehört zu einer Gesamtaufnahme bereits auch die inzwischen mehrfach komplettierte Sinfonie in D D 936A. Der langsame Satz ist bei den Potsdamern zwar immerhin dabei, fühlt sich aber nach Ende der wirbelnden Ersten etwas verloren an. Abgesehen davon kommt dieser kaum richtig zum Atmen, der Mantel der rätselhaften Schönheit öffnet sich nicht so richtig. Die anderen beiden Sätze hätten da zeitlich schon noch reingepasst. Des Weiteren könnte man zu einer Gesamtaufnahme noch die skizzierte Sinfonie in E D 729 (Weingartner-Fassung) oder die Sinfonischen Fragmente D 618, 708A zählen, um sich – wie einst Marriner in den 1980er Jahren – von früheren Einspielungen abzuheben.
Noch nie wurde so viel Instrumentalmusik von Schubert gespielt wie heute. Insbesondere die sogenannten „Jugendsinfonien“ rücken neben der „Unvollendeten“ und der „Großen“ immer mehr ins Licht. Eine nie gekannte österreichische Frische und Wiener Lebendigkeit strahlt aus dem Off. Und im Gegensatz zu älteren Aufnahmen von Böhm, der beispielsweise eher zu einer gemütlichen und immer noch schätzenswerten Ländlerseligkeit-Interpretation mit einem Heurigen neigte, gleichen die heutigen wie die der Kammerakademie Potsdam einer rasanten Skiabfahrt. ­Tatsächlich wirken sie in den Tempi und der Art der Interpretation zum Teil etwas forsch, manchmal ungestüm und gehetzt (1. Sinfonie), aber stets sehr lebendig und vital, gleichwohl auch sachlich kühl und hart in der Abphrasierung, was momentan modern zu sein scheint: Merkmale, die andere Aufnahmen nicht immer besitzen und die dem jungen Schubert – er war ja gerade zwischen 16 und 21 Jahren – entgegenzukommen scheinen. Demgegenüber sind beinahe alle langsamen Sätze sehr schön herausge­arbeitet mit einem hervorragenden, transparent und bestechend einjus­tierten Holzbläsersatz. Die Tanzsätze dagegen wirbeln (bis auf den der Achten) wie Formel-1-Menuette, denen oft das Ländlerhafte, das Gesellige fehlt; manche warten mit agogischen oder klanglichen Überraschungen auf.
Trotz aller Qualitäten fallen die beiden letzten Werke indes ab. Im h-Moll-Werk ist mehr gefragt als nur jugendliche Vitalität: eher ein warmblütiges Empfinden, eine verhaltene Innigkeit des Ausdrucks, ein ergründendes Nachsinnen. Die Tempi der Ecksätze von D 944 wirken huschig ohne Klangseligkeit, kraftlos ohne vorwärtsdrängenden Gestaltungswillen, die himmlischen Längen kommen zuletzt auch wegen der fehlenden Wiederholung im Finalsatz kaum zur Geltung.
Werner Bodendorff