Oliver Leicht [Acht.]

The State of Things feat. Jim McNeely

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Float Music FL012
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 73

Number 18 as a basic idea heißt das Stück – da ist man doch gespannt. Einem Morton Feldman würde man diesen Titel ohne Weiteres zutrauen. Doch einem Jazzoktett? Immerhin beginnt der Track mit einer minimalistisch reduzierten Szenerie: Schaben, Rasseln, dumpfes Klopfen. Bedient da jemand ein selbst gebasteltes Schlagzeug? Oder lauscht man einem putzigen Soundmaschinchen? Für das Hörerlebnis ist das egal, es bleibt der Eindruck einer spannenden Ouvertüre, die zum Hinhören verführt. Nach rund 45 Sekunden weht eine hallige Quin­te durchs Bild, dann tupft eine Electric-Clarinet ein paar Töne hinein, später zarte Tongirlanden.
Gespielt wird das Instrument von Oliver Leicht, einem umtriebigen Jazzmusiker, der neben seinem Hauptjob als Klarinettist in der Bigband des Hessischen Rundfunks noch die Zeit findet, in diversen kleineren Ensembles zu spielen. Ein Trio (Gesang, Klarinette, Gitarre) gehört dazu, ein Jazz-Quartett (Klarinette, Gitarre, Bass, Schlagzeug), das den augenzwinkernden Namen „Herrenrunde“ trägt, sowie [Acht.], um nur die wichtigsten zu nennen.
Letzteres entstand aus der Kombination der „Herrenrunde“ mit vier tiefen Blechbläsern (French Horn, Euphonium, zwei Posaunen). Dadurch eröffnete sich die Möglichkeit, „komplexe Arrangements zu verwirklichen, ohne auf improvisatorische Interaktion einer kleinen Band verzichten zu müssen“, liest man dazu auf Oliver Leichts Website. Zum Quartett alter Schule, oft filigran, quirlig, rhythmisch pointiert, tritt nun also der weiche, satte Klang des Blechs. „Meine Leib- und Seelenband“ nennt Leicht diesen Jazz-Achter. 2006 erschien die erste CD, 2008 die zweite, nun liegt die dritte vor (mit dem fabelhaften Pianisten Jim McNeely als Special Guest).
Wie sich komplexe Arrangements mit improvisatorischen Ausflügen verbinden lassen, dafür liefert Leicht auf diesem Silberling jede Menge eindrucksvoller Beispiele. In Number 18 werden rund elf Minuten weitgehend mit leichter, meditativer Improvisation gefüllt, wobei den Posaunen eine herausragende Rolle zufällt. Doch ab der dritten Minute erklingt eine strömende, melodiöse, fast choralartige Musik, die von den Bläsern in wechselnden Gewichtungen bestritten wird und einen schönen, ernsten Kontrast zum verspielten Gestus des Gesamtstücks bildet. In Vertical Convertible erzeugen Posaune & Co. einen satten Bigband-Sound, das Poem for them eröffnen sie mit einem liedhaften Thema, das nach kurzer Zeit abstrakten Akkordfolgen weicht, so als wenn eine Spiegelung im Wasser sich in konzentrische Wellen auflöst.
Einen besonderen Reiz machen zudem die Ausflüge in elektronische Welten aus. So liegt ein Hauch von Soundscape über dem Anfang von The State of Things, dem titelgebenden Stück der CD (eine Verbeugung vor dem Wim Wender’schen Kultfilm Der Stand der Dinge).
Oliver Leicht liebt diese Soundtüfteleien: als Auslöser für rhythmische Entwicklungen oder als Bereicherung der Farbpalette. Ob das nun die Verbrüderung zwischen Neuer Musik und Jazz ist, bleibe dahingestellt. Dem Ohr jedenfalls gefällt’s.
Mathias Nofze