Werke von Giovanni Sollima, Zoltan Kodály, Péter Pejtsik und anderen

The Solo Album

Christoph Croisé (Violoncello)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Avie
erschienen in: das Orchester 04/2022 , Seite 79

Nach der Wiedererweckung der Bach’schen Solosuiten im frühen 20. Jahrhundert und im Rückbezug auf Werke wie die 1915 entstandene – und auf dieser CD in Perfektion zu hörende – Sonate von Kodály machte das Cello als unbegleitetes Soloinstrument in den vergangenen Jahrzehnten eine bemerkenswerte Karriere: einerseits als Protagonist der „Hardliner“-Avantgarde, da insbesondere ein grenzenlos experimentierfreudiger Interpret, Siegfried Palm, epochalen Werken der 1950er bis 1970er Jahre zur Geburt verhalf. Andererseits, in der Post-Avantgarde-Ära, zunehmend als ideales Instrument für musikalische Äußerungen, die unter dem Begriff Crossover ihren Platz finden. Oder anders: Musik, die sich ungezwungen der Idiomatik von Jazz, Pop, Electronics, aber auch außereuropäischer Klänge bedient und daraus vergnügliche, meditative, bisweilen düster rockende Cello-Landschaften generiert.
Dieser zweiten Kategorie entstammen große Teile des Solo-Albums von Christoph Croisé. Die Stücke von Giovanni Sollima, Péter Pejtsik und Thomas Buritch verbindet zudem, dass sie von komponierenden Cellisten stammen. Genaue Kenntnisse dessen, was auf der wandlungsfähigen Kniegeige gut klingt und für Virtuosenhände erreichbar ist, prägen die effektsicheren Petitessen.
Croisé, Deutsch-Schweizer des Jahrgangs 1993, studierte in Berlin bei Wolfgang Emanuel Schmidt und erhielt weitere Impulse durch Steven Isserlis, Michael Sanderling und David Geringas. Im Alter von 17 Jahren gab er sein Debüt in der Carnegie Hall, seither ist er mit renommierten Orchestern und Kammermusikpartnern aufgetreten: eine Karriere, die auf unspektakuläre Weise einfach „läuft“.
Sollimas Concerto Rotondo generiert mittels Elektronik Pseudo-Mehrstimmigkeit und macht ausgiebigen Gebrauch vom Bordunton G (das Cello wird in der Skordatur G, G, D, G eingesetzt). Hinter frappierender Klanglichkeit verbirgt sich indes – sorry – eine kompositorische Seifenblase. Ähnliches gilt für Sollimas archaisierend-orientalisierendes Stück Alone, während Pejtsiks Jimi-Hendrix-affines Stonehenge und Buritchs bluesiges Some like to show it off („Manche zeigen’s gern“) mehr kompositorischen Witz enthüllen. Durchaus spaßig auch Croisés eigener Kompositionsbeitrag Spring Promenade mit Boogie- und Reggae-Anklängen.
Bisweilen scheinen Croisés Interpretationen der „seriösen“ Werke – neben Kodály hören wir die vielgespielte Sonate des jungen Ligeti – ein wenig mit Crossover-Schlagseite behaftet. Oder rührt dieser Eindruck von der direkten Nachbarschaft her? Hier und da mutet in diesen Werken Croisés Zugriff einen Tick zu improvisatorisch an, wiewohl agogische Freiheit den Urgründen ungarischer Musik natürlich nahekommt.
Allemal erleben wir einen phänomenal begabten, couragierten Cellisten und seine Begegnungen mit kontrastierenden musikalischen Welten. Der zugleich warme wie facettenreiche Klang seines venezianischen Cellos tut ein Übriges, um das Solo Album zum Hörvergnügen werden zu lassen.
Gerhard Anders