Nikolai Korndorf

The Smile of Maud Lewis

Ariel Barnes (Violoncello), Anna Levy/Jane Hayer (Klavier), Musiker:innen des Vancouver Symphony Orchestra, Ltg. Leslie Dala

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Redshift Records
erschienen in: das Orchester 03/2023 , Seite 70

Wie viele russische Künstler verließen auch die Komponist:innen Alfred Schnittke und Sofia Gubaidulina nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ihre Heimat und übersiedelten in den Westen. Nikolai Korndorf entschied sich ebenfalls für diesen Weg und ging zu Beginn der 1990er Jahre mit seiner Familie nach Kanada. Hier wurde er kanadischer Staatsbürger, starb aber bereits im frühen Alter von 54 Jahren in Vancouver. 2021 jährte sich der Todestag des russisch-kanadischen Komponisten zum zwanzigsten Mal; zu diesem Anlass wurden drei herausragende Werke aus seinem Schaffen neu eingespielt.
Korndorfs kompositorischer Stil ist sehr vielseitig und entwickelte sich schubhaft. Nach seinem Kompositionsstudium wandte er sich zunächst einer atonalen Musiksprache zu und erarbeitete sich schließlich seinen eigenen Stil mit repetitiven Techniken und Elementen der Minimal Music im Rahmen der tonalen diatonischen Musik. Sein kompositorisches Schaffen, dessen Eckpfeiler Korndorfs großes Interesse an Ritualismus und an der Kunstform Theater waren, umfasst alle musikalischen Genres, von Werken für Soloklavier über Kammermusik bis hin zu groß besetzten Sinfonien und Opern. Nikolai Korndorf entwickelte jedes seiner Werke aus einem spezifischen An-satz heraus, so auch die Werke auf diesem Album.
Korndorfs 1998 entstandene Komposition The Smile of Maud Lewis für Orchester ist ein beeindruckendes Porträt der kanadischen Folk-Art-Künst-lerin, deren Gemälde in zahlreichen Kunstsammlungen weltweit ausgestellt sind. Das Werk Triptych für Cello und Klavier mit seinen drei Sätzen „Lament“, „Response“ und „Glorification“ macht deutlich, dass der Komponist ein Meister der musikalischen Erzählung war. Sein 1984 entstandenes Werk Lullaby für zwei Klaviere schuf der Komponist anlässlich der Geburt seines Sohnes. Inspiriert von einem traditionellen russischen Wiegenlied ist Lullaby auf einem einfachen Motiv aufgebaut. Dieses Motiv findet sich auch in den Werken The Smile of Maud Lewis und Triptych wieder, für Korndorf symbolisierte es persönliche Momente geistiger Erleuchtung und diente ihm als verbindendes Element für seinen kreativen Arbeitsprozess.
Korndorfs musikalisches Vermächtnis lebt in seinen zahlreichen Schüler:innen weiter, unter ihnen die ausgezeichnete Komponistin Jocelyn Morlock. So endet das Album auch mit ihrem Werk half-light, somnolent rains für Klavierduo. Dem Komponisten ist es eindrücklich gelungen, in seiner neuen Heimat Kanada seinen Kompositionsstil weiterzuentwickeln, weil er sich auf die neue Umgebung eingelassen hat und deren Einflüsse und Eindrücke bewusst in seine Werke aufnahm.

Mano Eßwein