The Sibelius Edition

Volume 1: Tone Poems, Volume 2: Chamber Music I

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BIS-CD-1900/02, 5 CDs – BIS-CD-1903/05, 6 CDs
erschienen in: das Orchester 02/2008 , Seite 66

Voller Stolz meldet das schwedische Label BIS eine „Edition sämtlicher, wirklich sämtlicher Werke“ des vor 50 Jahren gestorbenen finnischen Nationalkomponisten Jean Sibelius. Die respektlose Frage, ob das denn wirklich nötig sei, wird man wohl erst beantworten können, wenn die insgesamt 65, auf 13 Boxen verteilten CDs vorliegen. Das aber kann dauern. Jedenfalls träumte BIS-Manager Robert von Bahr schon seit 1973, als er den Plattenverlag gründete, „einmal jede Note, die Sibelius je geschrieben hat, aufzunehmen“. Seit Jahrzehnten arbeitete er darauf hin. Das Göteborger Bandarchiv ist gut gefüllt. Das gängige Repertoire liegt in erstklassigen, vielfach preisgekrönten Einspielungen vor. Dank ihrer hohen künstlerischen und aufnahmetechnischen Qualität vermittelten sie Kennern und Liebhabern ein authentisches Sibelius-Bild.
Den großen Rest unbekannter Ur- und Erstfassungen, nicht zuletzt auch unentdeckter Klavier- und Kammermusik zu veröffentlichen, besorgt BIS nun mit Hilfe ausgewiesener Fachleute: von dem legendären Sibelius-Biografen Erik Tawaststjerna über Fabian Dahlström, dem Doyen heutiger Sibelius-Forschung, bis zum Planer und Leiter des Editionsvorhabens, Andrew Barnett. Nicht zu vergessen der Findegeist des Pianisten Folke Gräsbeck. Unterstützung erfuhr das Projekt zudem von der Familie des Komponisten, den Verlegern seiner Werke (vor allem Breitkopf & Härtel) und den Herausgebern der Sibelius-Gesamtausgabe in der Universitätsbibliothek Helsinki.
Mit einer fünf CDs umfassenden Dokumentation aller Tondichtungen und Folge 1 der Kammermusik (Streichquartette, Klaviertrios und -quartette) ging die „Jahrhundert-Edition“, deren Äußeres – fliegendes Schwanenpaar vor bläulich-dunstiger Seenlandschaft – Sehnsucht weckt, im September 2007 verheißungsvoll an den Start. Alle Stücke werden in einer mehrsprachigen Minibroschüre (englisch, finnisch, deutsch, französisch, japanisch) hinlänglich erläutert. Zudem liegt jeder Box eine Kurzbiografie des Meisters bei.
Neben unterschiedlichen Versionen (Erstfassungen, Revisionen, Endfassungen) der Lemminkäinen-Suite (Vier Legenden aus dem Kalevala), der Tondichtungen En saga, Die Ozeaniden und Finlandia (Urfassung: Finnland erwacht) sowie der Scènes historiques (1899, rev. 1911/12) enthält die Box „Tone Poems“ so unbekannte Orchesterwerke wie Frühlingslied (1894/95), Die Waldnymphe (1894/95), Nächtlicher Ritt und Sonnenaufgang (1908) oder Der Barde (1913). Bis auf die revidierten Orchestersuiten Scènes historiques I und II, die Göteborgs Symfonikerna unter dem estnischen Dirigenten Neeme Järvi beisteuern, leistet die Sinfonia Lahti unter ihrem Chefdirigenten Osmo Vänskä die ganze Interpretationsarbeit (die keineswegs nach Anstrengung klingt, sondern nach Leidenschaft und sublimem Vergnügen).
Voller Überraschungen steckt die Box „Chamber Musik I“ mit sechs CDs, darunter das Jugendwerk Ljunga Wirginia für Violine, Violoncello und Klavier zu vier Händen (1885). Für die Einspielungen gewann BIS die besten finnischen Kammermusiker der Gegenwart.
Lutz Lesle