Johannes Brahms

The Schönberg Effect/Piano Quartet No. 1/Symphony No. 3 (arr. for Piano Quartet)

Notos Quartet

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Sony Classical 194 398 480 02
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 83

Klavierkammermusik steht in den Jahren um 1860 im Zentrum des Komponierens von Johannes Brahms. Gleich drei Quartette für Klavier, Violine, Viola und Violoncello hat er zu dieser Zeit in Arbeit: die Quartette g-Moll op. 25 und A-Dur op. 26 sowie das erst später vollendete Quartett op. 60. Nach der Uraufführung von op. 25 in Hamburg 1861 wurde das Werk für Brahms ein Jahr später zur Eintrittskarte in das Wiener Musikleben.
Das 2007 gegründete Notos Quartett hat für seine zweite CD dieses großformatig angelegte Werk ausgewählt, das auch schon Arnold Schönberg begeistert hat, der es dann orchestrierte. Seine im Booklet zitierte Begründung dafür trifft wohl nur im ersten Punkt auch auf das Notos Quartett zu: „1. Ich mag das Stück. 2. Es wird selten gespielt. 3. Es wird immer sehr schlecht gespielt, weil der Pianist, je besser er ist, desto lauter spielt […].“
Hätte Schönberg die Interpretation des Notos Quartetts gekannt, wäre der letzte Punkt hinfällig geworden, denn die Aufnahme ist klanglich vorbildlich ausgewogen. Sie wird von einem homogenen Gesamtklang getragen. Das intensive Musizieren auf gleicher Wellenlänge und die agogisch ausgefeilte, immer temperamentvolle Interpretation – das Ergebnis langjähriger Konzerterfahrungen – führt in dem im ungarischen Idiom stehenden Schlusssatz ohne Abstriche an der Klangkultur zu einem musikalischen Feuerwerk.
Da das Notos Quartett gerne auch unkonventionelle Wege beschreitet, hat es den arrivierten Arrangeur Andreas N. Tarkmann beauftragt, die dritte Sinfonie F-Dur op. 90 von Brahms für seine Besetzung zu bearbeiten, quasi den Prozess einer Orchestrierung, wie bei Schönberg, umzukehren.
Bei aller Skepsis gegenüber der Notwendigkeit von derartigen Bearbeitungen in heutiger Zeit kann konstatiert werden, dass durch die Arrangierkunst Tarkmanns die Reduktion des sinfonischen Klangkörpers auf ein Klavierquartett durchweg originär wirkt. Dabei hat sich Tarkmann, der seine Überlegungen zur Umarbeitung im Booklet ausführlich darstellt, u. a. an der Bearbeitung der Sinfonie für zwei Klaviere vom Komponisten selbst orientiert, aber auch die Eigenheiten des Klavierquartettsatzes studiert.
Und wenn dann das Notos Quartett mit seiner Affinität zu Brahms sich die Kammerfassung sowohl mit großer Geste und opulentem Klang als auch mit verinnerlichtem Ausdruck zu eigen macht, lässt sich diese nahezu vorbehaltlos genießen. Sie beweist auch, dass Brahms von Grund auf ein kammermusikalisch denkender Komponist par excellence ist.
Heribert Haase