Czernowin, Chaya

The Quiet

Works for Orchestra

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 7319 2
erschienen in: das Orchester 02/2017 , Seite 67

Eine CD, die das ästhetische Format der 1957 geborenen Komponistin treffend repräsentiert. Fünf Wer­ke aus den Jahren 2010 bis 2013 werden vorgestellt, ein feinsinniger Kosmos, in dem sich der Hörer knapp 80 Minuten aufhält. Dominant sind zunächst Geräusche, flächig, diffus, leer. The Quiet ist der erste Part einer dreiteiligen „Crescendo-Trilogie“, mit kontinuierlich sich ausbreitenden, dann stärker strukturierten, zwischen Spannung und Entspannung schwankenden Vorgängen.
Optisches scheint in Akustisches versetzt: aufgestöbertes Klanggranu­lat, Klangpartikel-Schwärme – eine Schneeflöckchen-Anmutung ins Unliebliche versetzt. Geräusch-Agglomerationen. Man könnte von sensuellem Bruitismus sprechen, dessen Konvulsionen affektiv wirken. In Teil II der Trilogie – Zohar Iver (Blind Radiance) – entfaltet sich stärker ein Gestus humanspezifischer Artikulation. Attraktiv sind die Timbres der farbiger werdenden Textur. Mit orgelpunktartigen Formatierungen wird die sowieso schon große Räumlichkeit der Musik noch gesteigert. Ein Countertenor (Kai Wessel) tritt in Teil III (Esh) hinzu, wie ein weiterer Bestandteil der Bläsergruppe. Eine sirenenhafte, ja tierisch-klagende Lautquelle, die das verhalten Desas­tröse, Wüsten- und Geröllhafte eher noch steigert.
Von schöner Atmosphäre, verhalten, in einer lichteren, romantisch wirkenden Versonnenheit ist White Wind Waiting für Gitarre und Orchester. Das Spektrum der nicht virtuos behandelten Gitarre (Stephan Schmidt) in reizvoller Mischung mit den raueren, engeren und flächigen Klangbildungen des Orchesters, das in großen Portamenti, langsam sich vollziehend einen mal steigernden, mal bedrängenden und alles überschwemmenden Charakter annimmt. Dann wieder wie entleert, auf Nullstellung gebracht wirkend. Statt tonsetzerischer Bezüglichkeiten erlebt man viel eher haptische Wirkungen: Scharfkantigkeit, Schabungen, Einschläge, zusammenbrechende oder sich zerreibende Vorgänge. Der Gedanke an einen episch gewordenen Edgard Varèse stellt sich mehr als einmal ein.
Mit At the Fringe of Our Gaze taucht anfänglich blühender, an Filmmusik oder gewisse Orchestergesten Richard Strauss’ erinnernder Klang auf, bevor das jetzt schon ver­traute Format der dräuend-leeren Klangszenerie sich wieder durchsetzt. Insgesamt ein höchst charakteristisches, von synkretistischen und post-modernen Zügen freies Werk, das sich in einer gewissen Gleichförmigkeit vertieft.
Blendende, sehr räumliche und plastische Aufnahmen liegen hier dank der Orchester von Bayerischem Rundfunk und SWR, des Berner Symphonieorchesters samt Ensemble Nikel, der Philharmoniker des Staatstheaters Cottbus sowie des West-Eastern Divan Orchestra vor. Belege der Qualität, mit der heute Neue Musik gespielt werden kann. Mit Brad Lubman, Mario Venzago, Evan Christ, François-Xavier Roth und Daniel Barenboim sind erstklassige Dirigenten aktiv geworden.
Bernhard Uske