Werke von Dennis Kuhn, Nik Bärtsch, Stephan Thelen und Markus Reuter

The Numbers are Dancing

New Works for Mallet Quartet, Mannheimer Schlagwerk

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Solaire Records
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 70

Dem antiken Philosophen und Mathematiker Pythagoras wird die Aussage zugeschrieben, dass die Zahl das Wesen aller Dinge sei. Über diesen Satz kann man lange nachdenken, man kann aber auch parallel zum Denken damit beginnen, mit den Zahlen zu jonglieren und sie zum Tanzen zu bringen. Genau so stelle ich mir den Prozess vor, der beim Mannheimer Schlagzeugprofessor und Komponisten Dennis Kuhn und seinem Produzenten Dirk Fischer in Gang kam, als sie die kürzlich bei Solaire Records erschienene CD The Numbers are Dancing konzipierten. Auf der CD erklingen fünf Kompositionen für ein Quartett aus Vibra- und ­Marimbafonen von Dennis Kuhn, Nik Bärtsch, Markus Reuter und Stephan Thelen, wobei Letzterer diese Instrumentenkonstellation noch um eine Orgel und eine Kla­rinette ergänzt.
Die vier Komponisten, deren Geburtsjahrgänge zwischen 1957 und 1972 liegen, haben offensichtlich – und wie in dieser Generation nicht unüblich – im Laufe ihrer musikalischen Entwicklung den musikalischen Minimalismus intensiv studiert und durchdekliniert. Kein Wunder also, dass ihre Kompositionen unüberhörbar durch die frühen Werke von Steve Reich mit ihren oft einfachen, im Laufe der Zeit organisch wachsenden und sich zu hoher melorhythmischer Komplexität aufschwingenden Grundpatterns geprägt wurden. Individuelle Seiteneinflüsse aus Jazz, Rock und klassischer Musik sowie allgemein die Erkenntnisse und Entdeckungen des 20. Jahrhunderts machen jede einzelne Komposition zu einer eigenständigen und interessanten Ausprägung ihres Genres. Eine atmende Großform bei Dennis Kuhn, das flinke und kontrastreiche Durchdeklinieren eines Grundrhythmus bei Nik Bärtsch, sich drehende „Russian dolls“ von Stephan Thelen sowie die drei hell klingenden und tänzerischen Gottheiten Mars, Venus und Eros in Markus Reuters Sexgott. Beim Hören kommt keine Spur von Langeweile auf, die Werke sind trotz ihrer Ähnlichkeiten ausreichend unterschiedlich.
Alle Stücke wurden vom Ensemble Mannheimer Schlagwerk und dessen Freunden sehr gut und bis auf den kleinsten Bruchteil der Takte präzise realisiert, die Klangwelt der Produktion ist klangfarbenreich und dabei immer transparent. Das umfangreiche Booklet kommt essayartig als ein Making of der Produktion daher. Neben den üblichen Informationen erfahren wir dort von der guten Stimmung im Produktionsteam, die nicht zuletzt dem gemeinsamen Besuch ausgewählter Mannheimer Restaurants und Bars zu verdanken war.
Ausnahmslos alle Werke dieser CD bringen wie versprochen und mit großer Leichtigkeit die Zahlen zum Tanzen. Schlagzeuger können so etwas und eine einzige CD sollte klugerweise auch nicht in alle Richtungen gleichzeitig denken. Bei der nächsten CD wird der Fokus sicher neu gesetzt. Ich schlage dafür als Motto die erste Zeile des berühmtesten Gedichts von Novalis vor: „Wenn nicht mehr Zahlen und ­Figuren / Sind Schlüssel aller Kreaturen“.
Stephan Froleyks