Johann Sebastian Bach

The Melancholic Bach

Music for Viola da braccio & harpsichord. Emilio Moreno (Viola da braccio), Aarón Zapico (Cembalo)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Glossa
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 72

Carl Philipp Emanuel Bach berichtet von seinem Vater, dass dieser „am liebsten die Bratsche“ gespielt habe. Der spanische Geiger und Bratschist Emilio Moreno nimmt dieses Zitat zum Anlass, eine ganze CD dem Thema „Johann Sebastian Bach und die Viola“ zu widmen. Im ausführlichen, allerdings so klein gedruckten Booklettext, dass er möglichst mit einer Lupe gelesen werden sollte, beschreibt er, wie er Kompositionen von Bach z. B. aus dem Orgelbüchlein rekonstruiert, um einen „imaginären Korpus“ verloren gegangener Bach-Werke zu entdecken. Ob es diesen freilich gab, weiß auch Moreno nicht.
Merkwürdigerweise hat die CD den Titel The Melancholic Bach, obwohl viele Stücke eher einen tänzerischen Charakter haben und die klischeehafte Zuordnung der Bratsche zu den dunklen Emotionen erst in der Romantik aufkam. Allerdings entspricht Morenos Bratschenspiel ziemlich oft einigen gängigen Vorurteilen gegen das Instrument, nämlich dass dessen Klang nicht klar wäre und es eine gewisse Schwerfälligkeit auszeichnet.
Im Allegro aus dem Trio nach Telemann BWV 586 wirkt der Violapart an einigen Stellen verwaschen, gehetzt. Im Allegro-Vivace aus der Kantate BWV 76 hat der Hörer bisweilen den Eindruck, dass schnelle Töne „verschluckt“ werden. Doch der Hörer freut sich, dass hier die Bratsche tänzerisch klingt. Allerdings könnten die Betonungen artikulierter gesetzt werden. Der Affekt der Melancholie bestimmt einige Sätze. Beim Hören stellt sich dabei des Öfteren Langeweile ein. Das Tempo wirkt bisweilen zu langsam, da Moreno lang gehaltene Töne oft nicht in einen größeren Zusammenhang einbaut und Verzierungen als Selbstzweck spielt, sodass sie den Melodiefluss unterbrechen, anstatt den Ausdruck zu intensivieren. Die kleinteilige Spannung zwischen einzelnen Motiven fehlt, auch da Moreno Betonungen öfter eher beiläufig spielt. Wirklich gelungen erscheint das Andante aus der Sonate BWV 528, das er gesanglich und mit einem sehr schönen, weichen Ton musiziert.
Meine Enttäuschung über diese CD ist wohl so groß, da ich den Cembalisten Aarón Zapico als Solisten in anderen Ensembles sehr schätze. In der Allemande aus der Sonate in a-Moll BWV 965 zeigt er, mit welchem Feuer er Barockmusik zu gestalten vermag. Er verbindet hier eine messerscharfe Artikulation und höchste Lebendigkeit mit einer spannungsgeladenen Gesamtdramaturgie. Das ist Bach auf Spanisch. Leider kann Zapico seinen Partner nicht zu einem solchen Musizieren mitreißen. Gewiss, etwa im „Trio super Herr Jesu Christ“ spielen sich die beiden die Motive geistvoll zu. Aber es sprüht keine Funken.
Moreno ist ganz offenbar auf der Suche nach dem historischen Bratschenklang der Bach-Zeit. Orientierten sich der Violaspieler an der Viola da Gamba, am Violoncello oder an der Violine? Beim Hören entsteht der Eindruck, dass Moreno die Lösung noch nicht gefunden hat. Möglicherweise hat er die CD zu früh eingespielt.
Franzpeter Messmer

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