Werke von Antonio Vivaldi und Astor Piazzolla
The Mandolin Seasons
Jacob Reuven (Mandoline), Sinfonietta Leipzig, Ltg. Omer Meir Wellber
Eine interessante Interpretation: Die Jahreszeiten von Vivaldi auf der Mandoline – das ist mal etwas ganz Neues und sehr Reizvolles. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls bei der vorliegenden Aufnahme mit Jacob Reuven (Mandoline) sowie der Sinfonietta Leipzig unter der einfühlsamen Leitung von Omer Meir Wellber. Die thematischen Verbindungen dieses Werks mit seinen vielen Motiven und dynamischen Nuancen blitzen vor allem bei einzelnen Nummern wie „Seesturm“ oder „Die Jagd“ leuchtkräftig hervor. Die Nähe zu Scarlattis Opernsinfonien fällt auch hier auf. Und das dreisätzige Formschema zeigt immer wieder seine klangfarblichen Reize. Festliche Klangpracht, facettenreiche Al-fresco-Wirkungen, ausdrucksvolle Klangsprache und formale Ausgeglichenheit gehören eindeutig zu den Vorzügen dieser Einspielung.
Und es ist verblüffend, wie stark die Assoziationen zu Las cuatro estaciones portenas des argentinischen Komponisten Astor Piazzolla sind, der als Sohn italienischer Einwanderer mit drei Jahren nach New York zog. Als junger Bandoneonspieler lernte er die Musik Johann Sebastian Bachs kennen, die ihn nicht nur in kontrapunktischer Hinsicht beeinflusste. Auch seine beiden bedeutenden Lehrer:innen Nadia Boulanger und Alberto Ginastera haben Piazzolla maßgeblich geprägt. Fugensatz, Chromatik, Dissonanz, Jazz und Volksmusik treffen dabei aufeinander und schaffen kunstvolle Verbindungslinien zur Musik Vivaldis, der als „roter Priester“ sein Werk Die Jahreszeiten als Konzertsammlung schuf. Im Gegensatz hierzu entstanden die Teile von Astor Piazzollas Las cuatro estaciones portenas unabhängig voneinander. Sie berühren sich mit Vivaldis Jahreszeiten immer wieder auf geheimnisvolle Weise. „Frühling“ und „Herbst“ zeigen auch hier eine idyllische Natur, eher realistisch wird dann der „Sommer“ gestaltet: „Verano porteno ‚Summer in Buenos Aires‘“. Der knisternde Rhythmus des Tangos als Grundlage für Fantasien und Fugen fesselt bei dieser akustisch transparenten Einspielung, wobei Omer Meir Wellber ab und zu das Akkordeon spielt.
Es ist dieser besondere südamerikanische Klangfarbenreichtum, der den Reiz der Einspielung ausmacht. Schroffe Weisen machen bei Piazzolla immer wieder einem lyrisch-sehnsüchtigen zweiten Thema Platz.
Omer Meir Wellber leitet das Orchester vom Cembalo oder Akkordeon aus und ebnet damit dem Mandolinvirtuosen Jacob Reuven facettenreich und einfühlsam den Weg. So spannt sich ein riesiger, dynamisch ausgesprochen reizvoller Klangbogen über diese Einspielung, die Vivaldi gleichsam in neuem Licht zeigt. Nur manchmal vermisst man noch den satten Klang der reinen Streicherbesetzung.
Alexander Walther