Thomas Larcher

The Living Mountain

Sarah Aristidou (Sopran), Alisa Weilerstein (Violoncello), Aaron Pilsan (Klavier), Luka Juhart (Akkordeon), Andrè Schuen (Bariton), Daniel Heide (Klavier), Münchner Kammerorchester, Ltg. Clemens Schuldt

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: ECM New Series
erschienen in: das Orchester 5/2024 , Seite 73

Bei ECM hat der Tiroler Komponist Thomas Larcher seine ersten CDs veröffentlicht, und The Living Mountain ist jetzt die dritte Produktion von Musik Larchers auf diesem Label. In den Jahren seit der ersten Larcher-CD Ixxu hat sich der Tonsetzer als eine der individuellsten Persönlichkeiten innerhalb der europäischen Musikszene etabliert und sein Œuvre umfasst mittlerweile nicht nur Kammermusik, Liederzyklen und konzertante Werke, sondern auch drei Sinfonien und eine Oper.
Die Dogmatik der Avantgarde hatte Larcher während seines Studiums nach eigener Aussage regelrecht erschreckt und er zog sich zurück – „in die Stille der Berge, um mein eigenes Ding zu machen“, wie er in einem Gespräch verriet. Dies soll nun aber nicht denken machen, dass es sich bei Larchers Tonsprache um romantisch geprägte „Landschaftsmusik“ handle: Als „Bergkomponist, als Naturkomponist, als einer, der in den Bergen sitzt und beim Fenster hinausschaut“, möchte er sich nicht verstanden wissen. Und dies, obwohl seine Komposition The Living Mountain für Sopran und Ensemble durchaus von der Bergwelt handelt: Larcher vertont in diesem Stück Texte der schottischen Autorin Nan Sheperd aus ihrem gleichnamigen Buch. Dabei handelt es sich nicht um „herkömmliche“ Naturlyrik, sondern um Reflexionen der menschlichen Seele in der Einsamkeit der Landschaft. Die erwähnte „Stille der Berge“ ist in der Musik stets präsent, stets konterkariert jedoch von innerer, fast panikartiger Unruhe.
Der Kontrast eigentlich schwer vereinbarer Ausdrucksformen ist es also, der für Larchers Musik typisch ist: einerseits perkussive Spieltechniken, die der Avantgarde entlehnt sind – in Unerzählt hat der Pianist fast ebenso oft im Korpus seines Instruments zu agieren wie auf der Tastatur –, andererseits Restbestände der „alten“ Tonalität, ihrer ursprünglichen Funktionalität beraubt und wie aus weiter Ferne, oder einer vergilbten Fotografie, grüßend. Im Vergleich zu früheren Kompositionen finden sich sogar Anklänge an die Musik Arvo Pärts in langsam absteigenden Moll-Skalen.
Die Interpretationen werden den hohen Ansprüchen von Larchers Musik vollends gerecht. Andrè Schuen hat sich in der Vergangenheit schon mehrfach mit Werken von Larcher interpretatorisch auseinandergesetzt, und gemeinsam mit dem Pianisten Daniel Heide gelingt es ihm in Unerzählt, auch und gerade in Momenten äußerster Reduktion die stärkste Wirkung zu erzielen. Das Münchner Kammerorchester unter Clemens Schuldt lässt die zerbrechliche Farbigkeit von Larchers Klängen in ihrer Vielfalt Gerechtigkeit widerfahren und bildet einen perfekten Hintergrund sowohl für die Cellistin Alisa Weilerstein in Ouroboros als auch für die Sopranistin Sarah Aristidou in The Living Mountain.
Thomas Schulz