Giya Kancheli
The Legacy: Symphonies 1-7/ Liturgy (Mourned by the Wind)/ Light Sorrow
Tbilisi Symphony Orchestra, Ltg. Djansug Kakhidze
Ihre Freundschaft währte lange und war legendär, und ihr wertvolles Erbe kommt nun dank dieser exklusiven Edition wieder zum Vorschein: Fünf CDs mit den zwischen 1967 und 1989 entstandenen sinfonischen Hauptwerken von Gija Kantscheli in neuer brillanter Tonqualität – und das Ganze ein Resümee der kreativen Zusammenarbeit des berühmtesten Komponisten Georgiens mit dem „georgischen Karajan“: „Ohne Jansug Kachidse an meiner Seite wäre ich sicherlich ein anderer Komponist geworden.“
In der Tat: Kantscheli, der 1935, ein Jahr vor Kachidse, in Tiflis geboren wurde, dort verantwortungsvolle künstlerische Positionen einnahm, dann 1990 ins westliche Ausland ging und 2019 in seiner Heimatstadt starb, hat erst mit Pop-, Bühnen- und Filmmusik Erfolg gehabt, ehe er sich das Ziel setzte, „zeitgenössische technische Mittel und die nationalen Besonderheiten der musikalischen Sprache organisch miteinander zu verbinden“.
Die bildhaften und narrativen Abfolgen, die filmische Schnitt- und Montage-Technik, die Bass-Gitarre und die „sprechenden“ Werktitel behielt er bei. Neu entwickelt hat er hingegen eine Musik vielfältigster Extreme von Ausdruck, Form und Struktur – mitunter scheint es, als reichten sich Morricone und Rota mit Webern und Nono die Hand. Seine 1. Sinfonie (1967) nahm er dann nur in Angriff, weil er sich des Beistands von Kachidse sicher war, und darauf hoffte er auch – zu Recht – für die Zukunft. Doch zu ihrem Elan, ihrem Humor und ihrem Optimismus und zur Mehrsätzigkeit fand Kantscheli nicht wieder zurück. Die Mystik dieser 1. Sinfonie und ihre Melancholie aber bleiben, und jede der folgenden Sinfonien erhält ihre eigene Klangwelt und Botschaft: Intonationen georgischer Lieder und Choräle, Klagegesang mit leisen Tamtam-Schlägen, hallende Kirchenglocken und luzide Cembalo-Soli, unendliche Räume, Mini-Motive und gewaltige Klangeruptionen. Die 7. Sinfonie Epilog (1986) ist Kantschelis Abschied von der Gattung – ein Abgesang, dessen melodisch zarte Episoden, wehmütige Rückblicke, und viele Zitate, die ungreifbar sind und mysteriös bleiben, von barocker Bläser-Pracht eingeleitet und kontrastiert werden.
Auch die Meditationen, Metamorphosen und Farbenspiele der Liturgie Vom Winde beweint für großes Orchester mit Solo-Viola (1989) ziehen wie ein mäandernder Fluss der Erinnerungen vorüber – im Gedenken an den großen georgischen Musikwissenschaftler Giwi Ordschonikidse. Und das Werk Lichte Trauer für Knabenchor und großes Orchester, von Kurt Masur anlässlich des 8. Mai 1985 für das Leipziger Gewandhaus in Auftrag gegeben, hat Kantscheli „den Kindern gewidmet – jungen Kriegsopfern. Ihnen allen unabhängig von ihrer Nationalität“.
Für Jansug Kachidse war die Neueinspielung der Werke seines Freundes mit dem von ihm 1993 gegründeten Tifliser Sinfonieorchester Herzenssache. Und dass die Faszination dieser hochkarätigen authentischen Aufführungen nicht verblasst, ist auch das große Verdienst eines findigen Ra-ritäten-Labels…
Eberhard Kneipel