Giya Kancheli

The Legacy: Symphonies 1-7/ Liturgy (Mourned by the Wind)/ Light Sorrow

Tbilisi Symphony Orchestra, Ltg. Djansug Kakhidze

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Cugate Classics
erschienen in: das Orchester 03/2021 , Seite 75

Ihre Freundschaft währte lan­ge und war legendär, und ihr wert­volles Erbe kommt nun dank dieser exklusiven Edition wieder zum Vorschein: Fünf CDs mit den zwi­schen 1967 und 1989 entstandenen sinfonischen Hauptwerken von Gija Kantscheli in neuer brillanter Ton­qualität – und das Ganze ein Resü­mee der kreativen Zusammenarbeit des berühmtesten Komponisten Georgiens mit dem „georgischen Karajan“: „Ohne Jansug Kachidse an meiner Seite wäre ich sicherlich ein anderer Komponist geworden.“
In der Tat: Kantscheli, der 1935, ein Jahr vor Kachidse, in Tiflis ge­boren wurde, dort verantwortungs­volle künstlerische Positionen ein­nahm, dann 1990 ins westliche Aus­land ging und 2019 in seiner Hei­matstadt starb, hat erst mit Pop-, Bühnen- und Filmmusik Erfolg ge­habt, ehe er sich das Ziel setzte, „zeitgenössische technische Mittel und die nationalen Besonderheiten der musikalischen Sprache orga­nisch miteinander zu verbinden“.
Die bildhaften und narrativen Abfolgen, die filmische Schnitt- und Montage-Technik, die Bass-Gitarre und die „sprechenden“ Werktitel behielt er bei. Neu entwickelt hat er hingegen eine Musik vielfältigster Extreme von Ausdruck, Form und Struktur – mitunter scheint es, als reichten sich Morricone und Rota mit Webern und Nono die Hand. Seine 1. Sinfonie (1967) nahm er dann nur in Angriff, weil er sich des Beistands von Kachidse sicher war, und darauf hoffte er auch – zu Recht – für die Zukunft. Doch zu ihrem Elan, ihrem Humor und ih­rem Optimismus und zur Mehrsät­zigkeit fand Kantscheli nicht wieder zurück. Die Mystik dieser 1. Sinfo­nie und ihre Melancholie aber blei­ben, und jede der folgenden Sinfo­nien erhält ihre eigene Klangwelt und Botschaft: Intonationen georgi­scher Lieder und Choräle, Klagege­sang mit leisen Tamtam-Schlägen, hallende Kirchenglocken und luzide Cembalo-Soli, unendliche Räume, Mini-Motive und gewaltige Klangeruptionen. Die 7. Sinfonie Epilog (1986) ist Kantschelis Abschied von der Gattung – ein Abgesang, dessen melodisch zarte Episoden, wehmü­tige Rückblicke, und viele Zitate, die ungreifbar sind und mysteriös bleiben, von barocker Bläser-Pracht eingeleitet und kontrastiert werden.
Auch die Meditationen, Meta­morphosen und Farbenspiele der Liturgie Vom Winde beweint für großes Orchester mit Solo-Viola (1989) ziehen wie ein mäandernder Fluss der Erinnerungen vorüber – im Gedenken an den großen geor­gischen Musikwissenschaftler Giwi Ordschonikidse. Und das Werk Lichte Trauer für Knabenchor und großes Orchester, von Kurt Masur anlässlich des 8. Mai 1985 für das Leipziger Gewandhaus in Auftrag gegeben, hat Kantscheli „den Kin­dern gewidmet – jungen Kriegsop­fern. Ihnen allen unabhängig von ihrer Nationalität“.
Für Jansug Kachidse war die Neueinspielung der Werke seines Freundes mit dem von ihm 1993 gegründeten Tifliser Sinfonieorchester Herzenssache. Und dass die Fas­zination dieser hochkarätigen au­thentischen Aufführungen nicht verblasst, ist auch das große Verdienst eines findigen Ra-ritäten-Labels…
Eberhard Kneipel