Mendelssohn Bartholdy, Felix / Hector Berlioz

The Last Concert / Ein Sommernachtstraum / Symphonie fantastique

Berliner Philharmoniker, Ltg. Claudio Abbado

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Berliner Philharmoniker BPHR 160081
erschienen in: das Orchester 09/2016 , Seite 69

Auch die Berliner Philharmoniker bringen ihre Konzerte als Livemitschnitt auf eigenem Label in die Öffentlichkeit. Die jüngste und zugleich besonders luxuriöse Publikation, in rotes Leinen geschlagen, mit Ton und Bild, gilt Claudio Abbados Konzert, das dieser – von 1989 bis ins Jahr 2002 Chefdirigent der Philharmoniker – als Gast am Pult des Orchesters im Mai 2013 in Berlin gegeben hat. Es ist sein letzter Auftritt in Berlin geworden, im Januar 2014 ist Claudio Abbado gestorben.
Gewählt hatte sich Abbado für dieses Konzert einige Stücke aus Mendelssohns Sommernachtstraum und – zum ersten Mal mit den Berlinern überhaupt – Hec­tor Berlioz’ Symphonie fantastique. Von den ersten Takten der Ouvertüre zum Som­mernachtstraum an wird deutlich, welche gewachsene und tiefe Partnerschaft da zwischen Abbado und dem Orchester sogleich wieder hat neu abgerufen werden können: Solche nahtlosen Überblendungen der einzelnen alternierenden Stimmgruppen, solch feinsinniges Aufdecken von Binnenstrukturen, solch eine sensible Dynamik in der Zeichnung der Klangbögen, ja selbst, wenn es sich dabei „nur“ um eine Pizzicatophrase handelt, findet man kaum jemals. Samten ist das Klangbild, das die Philharmoniker produzieren, ein Klang­gestus, der sich homogen mischen will, dem aber auf der anderen Seite das Anliegen für eine auflichtende Analytik eher abgeht. Und Letzteres ist etwas, das der Aufnahme dann doch auch wiederum ein wenig zum Nachteil gereicht: Dass da – auch schon in der Ouvertüre – im Hintergrund der Musik das Wissen um eine skurrile Handlung mitzudenken ist, der diese Musik als Schauspielmusik dient, eröffnet sich in dieser mit so großem Ernst angegangenen Durchleuchtung nicht unbedingt. Esprit und Impetus sind hier ein wenig in den Hintergrund getreten. So fügen sich die ausgewählten Stücke wie eine mit höchstem Feingefühl austarierte symphonische Dichtung, denn auch die beiden Solistinnen Deborah York und Stella Doufexis sowie die Damen des Chors des Bayerischen Rundfunks agieren mit ausgesuchtem klanglichen Feinschliff – aber auch mit gebremster Verve.
Die Darstellung von Berlioz’ Symphonie fantastique gibt sich da vergleichsweise präsenter. Hier schaffen Abbado und die Philharmoniker im Eröffnungssatz eine lebendige Atmosphäre voller kontrastierender Szenenwechsel, wobei Dirigent und Musiker die unterschied­lichsten musikalischen Schichten in eindrücklichster Weise auf eine Ziel­gerade ohne jedwede Brüche, gleich­sam auf einen einzigen Klangbogen zu bringen vermögen. Im „Ball“ erlebt man eine weich gepolsterte Eleganz, in der „Szene auf dem Lande“ ein Musterbeispiel hinsichtlich subtilster Geschmeidigkeit und feingeistiger Balance. Allein im „Gang zum Richtplatz“ fehlt etwas das Schroffe, hier behält wieder ein wenig der schöngeistige Ästhetizismus die Oberhand. Eine hochspannende Bilderfolge – transparent aufgefächert und perfekt in den Farbmischungen – bekommt man im Finalsatz zu hören.
Thomas Bopp