Kurt Weill

The Kurt Weill Album

Katharine Mehrling, Michael Porter, Simon Bode, Michael Nag, Oliver Zwarg (Gesang), Konzerthausorchester Berlin, Ltg. Joana Mallwitz

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Deutsche Grammophon
erschienen in: das Orchester 2/2025 , Seite 73

Mit Gustav Mahlers Symphonie Nr. 4 hatte sich Joana Mallwitz als Generalmusikdirektorin von der Staatsphilharmonie Nürnberg verabschiedet. Die beiden gern zusammen eingespielten Symphonien Kurt Weills waren eines ihrer ersten Projekte am neuen Wirkungsort Berlin. Im Booklet-Interview mit James Holmes, dem Herausgeber der Symphonien in der Kritischen Ausgabe der Werke, verweist Mallwitz auf die Nähe von Weills Orchesterwerken zu Gustav Mahler, Franz Schreker und Arnold Schönberg. Bei der erst nach Weills Tod entdeckten und 1958 uraufgeführten ersten Symphonie ist das voll konform mit Weills Lebensphase vor 1920. Der aus Dessau nach Berlin gekommene Weill erlebte seine Sturm-und Drang-Jahre, als die durch Symbolismus, Décadence und Expressionismus geförderten Entgrenzungen zum Mainstream wurden und in die Salon- und Unterhaltungsmusik eindrangen.
Weill klingt unter Mallwitz’ Leitung üppig, klar und sogar beseelt, aber auch brillant. Wie bei Schreker darf auch hier etwas Virtuosität einfließen. So wird der lakonische Bürgerschreck Weill auf eine berückende Weise dekadent in der von ihm als „Theatermusik“ bezeichneten Musik zum Festspiel Arbeiter, Bauern, Soldaten: Der Aufbruch eines Volkes zu Gott des späteren DDR-Kultusministers Johannes R. Becher. Dieses üppige Spektrum ziehen die Staatskapelle und Mallwitz auch in die zweite Symphonie. Mallwitz’ spätromantischer Zugriff mit dem Anspruch auf effektive Klangseligkeit korrigiert Interpretationen, welche Weills dort auffindbare Dreigroschenoper-Skelettkargheiten aufpolstern und mit vollem Melos überspannen.
Neu ist die Kombination der Symphonien mit Weills und Bertolt Brechts letzter Zusammenarbeit Die sieben Todsünden. Das Männerquartett ist im Vergleich zu anderen Interpretationen mit sehr sinnlichen, sich gern in den akustischen Vordergrund spielenden Stimmen besetzt. Auch Katherine Mehrling gibt eine Anna I und II, welche natürlich kommentierend neben sich steht, aber an der Instrumentalisierung ihres Sexus zum Lohn- und Broterwerb vielleicht sogar genüssliches Vergnügen findet. Dieses Kurt Weill Album akzentuiert also weniger die Unterschiede Weills zum Opern-, Operetten- und Konzertbetrieb vor 1933, sondern die Gemeinsamkeiten mit der bürgerlichen Musikkultur. Die Unterschiede zwischen Kulinarik und der Pose von Systemkritik müssen nicht von verschiedenen Planeten kommen, wie manche Kurt-Weill-Interpretationen das glauben machen. Auch in dieser Einspielung wird deutlich, dass Weill jede Menge kreatives Potenzial hatte, um die Gattung der Symphonie zwischen den Weltkriegen aufzulockern.
Roland Dippel