Werke von Ferenc Farkas, Erzsébet Szonyi, Antal Dorati und anderen

The Hungarian Viola

Máté Szücs (Viola), Oliver Triendl (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Profil / Edition Günter Hänssler PH14022
erschienen in: das Orchester 03/2015 , Seite 81

Gibt es eine „ungarische Viola“? Vielen Musikliebhabern ist Franz Liszts Romance oubliée bekannt. Doch was sonst? Gewiss, es gibt Bartóks Violakonzert. Aber rechtfertigt das schon, von einer ungarischen Violamusik zu sprechen? Máté Szucs und Oliver Triendl plädieren in ihrer neuen CD dafür. Sie bringen Werke, die in unserem Konzertleben weitgehend unbekannt sind, zu Gehör. „Ungarisch“, wenn wir darunter die bis auf Haydn zurückreichenden Klischees einer „Zigeunermusik“ verstehen, sind wenige: Ferenc Farkas’ French Suite erinnert daran. Die anderen Werke als spezifisch ungarisch zu hören, ist vordergründig betrachtet nicht zwingend. Doch offenbar lieben Komponisten in Ungarn den Klang der Viola. Sie komponierten häufiger als andere für dieses Instrument. Der ungarischen Gefühlswelt im 20. Jahrhundert entsprach der verhaltene, eher schwermütige, elegische Bratschenton. Franz Liszt hat dies in seiner Romance sehr eindrucksvoll gezeigt: ein elegischer Gesang, von der Tiefe des Basses bis in die hohe, klagende Tenor- und Altregion reichend. Vielleicht spiegelt dies die Monotonie und endlose Weite der Puszta wider.
Der Bratschist Máté Szucs, selbst aus Debrecen in Ungarn stammend, nach Stationen im Flämischen Königlichen Philharmonischen Orchester in Antwerpen über die Bamberger Symphoniker, die Sächsische Staatskapelle Dresden und das hr-Sinfonieorchester zur Deutschen Kammerphilharmonie Bremen (Solo-Bratscher von 2008 bis 2012) nunmehr 1. Solobratscher der Berliner Philharmoniker, trifft diesen Ton sehr genau: elegisch in der Grundhaltung, in der hohen Tonlage zu expressiver Leidenschaft aufblühend, in der tiefen die Wärme eines Basses evozierend. Dieser elegische Ausdruck gelingt dem einst als Dirigent viel bekannteren Antal Dorati in seinem Adagio besonders eindringlich. Szucs arbeitet den Gegensatz zwischen dem schwermütigen „Gesang“ und rhythmisch akzentuierten Teilen voller Dramatik heraus.
Andere Werke entsprechen weniger diesem „ungarischen“ Grundcharakter: Erzsébets Szonyis French Suite setzt auf Bewegung, Rhythmus und eine objektivierende Haltung, wie es Paul Hindemith vorgemacht hatte. József Soproni betont in den beiden schnellen Ecksätzen das Tänzerische; Máté Szucs spielt diese Musik freilich allzu technisch, nur mit wenig Gespür für die aus der Folklore stammende Rhythmik; doch im Mittelsatz, einer „Aria“, fesselt er dann wieder mit seinem elegisch-gesanglichen Ton.
Eine besonders hörenswerte Entdeckung ist die Sonata for viola and piano von László Weiner, der 1944 im Zuge der ungarischen Judenverfolgung in einem Zwangsarbeitslager starb. Die Sonate des 23-jährigen Komponisten wird von Máté Szucs und Oliver Triendl mit sprechender Artikulation, faszinierender Dramatik, voller Leidenschaft, als bewegende Zwiesprache zweier gleichberechtigter Instrumente interpretiert. Das Werk des jugendlichen Komponisten zeigt bereits eine außergewöhnliche Reife.
Allein schon diese Komposition hören zu können, lohnt diese CD. Darüber hinaus erschließen Máté Szucs und Oliver Triendl sehr hörenswertes und allzu selten gespieltes Repertoire für die Viola.
Franzpeter Messmer