The ground beneath your feet

„The Knights“ nennt sich ein New Yorker „Orchesterkollektiv“, das in flexiblen Besetzungen auftritt und dabei ein breites stilistisches Spektrum durchmisst. Die Ensemble-Mitglieder verleugnen ihre klassischen Wurzeln nicht, sind aber jederzeit fähig, mit kreativen Ideen Programme von Cross-over-Charakter zu gestalten. Die Liveaufnahmen der Knights auf der vorliegenden CD besitzen bei aller derartigen Vielfalt eine thematische Klammer: Die einzelnen Nummern erweisen sich als Variationen über das Concerto grosso, das mehrere solistische Instrumente aus dem Ensemble heraus- und ihm dialogisierend gegenübertreten lässt.
Ein Werk von Johann Sebastian Bach repräsentiert die ursprüngliche barocke Musizierpraxis, die im Weiteren durch Kompositionen des 20. Jahrhunderts reflektiert wird. Original ist freilich auch dieses Konzert Bachs für Violine und Oboe nicht, das aus der einzig überlieferten Fassung für zwei Klaviere rekonstruiert wurde. Schlank und federnd klingt der hypothetische Bach bei den Knights, klar akzentuiert und bewegt, doch ohne jenen Hang zu Übertreibungen in Tempo- und Dynamikwechseln, zu dem manche Gruppen der historischen Aufführungspraxis inzwischen neigen.
Als Echos der Bach’schen Musik im 20. Jahrhundert wirken Steve Reichs Duet for two violins and strings mit kurzen melodischen Phrasen über rhythmisch pulsierendem Grund und, als kompositorische Antwort auf die „Brandenburgischen Konzerte“, das Dumbarton Oaks Concerto Igor Strawinskys. Bei dessen Interpretation machen die Knights deutlich, dass Strawinsky weniger Barock-Kopie als -Dekonstruktion betreibt. Die rhythmisch pulsierende Wiedergabe der Partitur lässt immer wieder falsch eingehängte Floskeln vernehmen, in Leerlauf mündende Fortspinnungsversuche und Durchlöcherungen der Bewegung, als bedürfe die Musik des ständigen Schnappatems, um weiterlaufen zu können.
Als Eigenbeitrag der Knights folgt ein von den beiden Solisten Colin Jacobsen und Siamak Aghaei gemeinsam verfasstes und gespieltes Konzert für das eigentümliche west-östliche Instrumentenpaar aus Violine und Santur, einer trapezförmigen vorderasiatischen Zither. Hier begegnen sich orientalisches Melos und prickelnde rhythmische Patterns, wobei die Solopartien oft improvisatorisch wirken, ganz im Geist der ursprünglich freien Solisten-Kadenz.
Das Schlusstück der CD bildet quasi den perspektivischen Fluchtpunkt der vorangegangenen Nummern. Einer Ciacona Tarquinio Merulas ist das Bassmodell entlehnt, jener im Titel des Stücks und der CD apostrophierte Ground beneath your feet, über dem in wechselnden Riffs die unterschiedlichsten Musikstile vom Barock bis zum Rock (im abschließenden Gesangssolo), von der Zigeunermusik bis zu lateinamerikanischen Tänzen zitiert werden.
Gerhard Dietel