Werke von Gershwin, Huppertz, Burleigh und anderen
The Golden Violin
Music of the 20s, Daniel Röhn (Violine), Mario Stefano Pietrodarchi (Bandoneon), Württembergisches Kammerorchester Heilbronn, Ltg. Case Scaglione
„Babylon Berlin“, die opulent ausgestattete Serie um Sex and Crime im Berlin der Zwanziger Jahre, erhält eine dritte Staffel. Was das mit der vorliegenden CD zu tun hat? Beide zehren vom grassierenden Retrokult. Das Titelblatt des Booklets greift ein Art-Deco-Motiv auf, das damals den Eingang eines Amüsierpalastes am Alexanderplatz hätte zieren können. Der Titel schließlich wirft ganz unverhohlen bewundernde Blicke zurück: „The Golden Violin. Music of the 20s“.
Insgesamt 15 Takes versammelt die Scheibe, vieles davon unterschätzte Zugabenmusik, findet der Geiger Daniel Röhn, der die Piècen zusammen mit dem Württembergischen Kammerorchester Heilbronn unter Leitung von Case Scaglione eingespielt hat. Röhn tauft sie „Drei-Minuten-Juwelen“, die sofort das „Herz des Zuhörers berühren“. Dazu zählen legendäre Ohrwürmer wie The Terry Theme oder The Flower Shop (aus den Filmen Limelight und City Lights), mit denen Charlie Chaplin als Melodienerfinder unsterblich geworden ist.
The Land of Might-Have-Been, eine warmherzige Eingebung des britischen Entertainers und Musicalkomponisten Ivor Novello, ist hingegen nur Eingeweihten ein Begriff. Oder auch das irische Lied Gweedore Brae. Zu diesen einschmeichelnden Melodien passt Josef Suks Chant d’amour, gerade weil dieses Stück – entstanden Ende des 19. Jahrhunderts – zeigt, wie viel spätromantisches Erbe in der späteren Musik steckt.
Daniel Röhn spielt all das mit elegantem, sinnlichem Ton und wohldosierter Sentimentalität. Vieles davon hat auch der legendäre Geiger Jascha Heifetz gerne als Zugaben ins Programm genommen – und der „Jahrhundertgeiger“ ist auch so etwas wie das Zentralgestirn, um das die CD kreist. Heifetz-Encores bilden einen beträchtlichen Teil der Trackliste, darunter die Gershwin-Hits It ain’t necessarily so und Tempo di Blues, hier in Bearbeitungen für Orchester aus der Feder des amerikanischen Arrangeurs Stephen Buck, die dieser eigens für diese CD geschrieben hat. Es sind süffige, am Broadway-Sound geschulte Neufassungen.
Eine Rarität dagegen stellen die Auszüge dar, die Heifetz aus Gershwins An American in Paris transkribierte und die erst vor einigen Jahren publiziert wurden, hier wiederum in einer Version von Stephen Buck zu hören. Gleiches gilt für Gottfried Huppertz‘ suggestive Filmmusik zum Science-Fiction-Klassiker Metropolis, von Buck zu einer Suite von acht Minuten verdichtet. Sein virtuoses Händchen zeigt Röhn unter anderem in Cecil Burleighs Moto perpetuo.
Kurz: eine CD, die sich gut mit einem Glas Rotwein hören lässt und Lust auf eine Zeitreise in die Twenties macht. Ärgerlich nur, wie sich Röhn im Booklet etwas zu aufdringlich als legitimer Nachfolger der „alten Meister“ inszeniert – oder inszenieren lässt. Öde scheint ihm die Gegenwart, golden aber die alten Zeiten: „Ich wurde 100 Jahre zu spät geboren.“
Mathias Nofze