Karl Aage Rasmussen/ Ottorino Respighi
The Four Seasons after Vivaldi/Follia, follia…/ Gliuccelli
Concerto Copenhagen, Ltg. Magnus Fryklund/Lars Ulrik Mortensen
Was für ein wunderbares Paradox! Seit 2016 leistet sich Concerto Copenhagen einen lebenden Künstler, der fast so etwas wie ein Composer in Residence für das Alte-Musik-Ensemble wurde. Der Däne Karl Aage Rasmussen (geb. 1947) lieferte zum Beispiel für Stuttgart eine vollendete Version von Franz Schuberts Oper Sakontala (2006) und orchestrierte dessen Ballade Der Taucher für den Bariton Bo Skovhus. Rasmussen betrachtet kompositorische Rekonstruktion, stilistische Imitate und eigenschöpferisches Arbeiten nicht als genuine, sondern als sich ergänzende Praktiken des Komponierens. In diesen Weltersteinspielungen sind die drei Prinzipien vereint.
Am Ende steht Ottorino Respighis Die Vögel in Rasmussens Bearbeitung, der mit Freiheiten der koloristischen Ausgestaltung nicht spart. Die Solostreicher von Concerto Copenhagen versuchen mit zirpenden und beinahe kratzenden Bogenstrichen eher die Tongebung natürlicher Vogelstimmen nachzuahmen als die oszillierende Klangsynthese des Spätbarock in einer Spiegelung aus dem Jahr 1928. Follia, follia… ist Rasmussens erste Komposition für Concerto Copenhagen und zeigt in nur sieben Minuten enorm viel von dessen kreativen Visionen. Seine Reflexion über den aus Portugal stammenden und als Variationenreihe über einer stabilen Basslinie in der italienischen Barockmusik verbreiteten Tanz beginnt mit dem schnellen Taumel durch kantige und sogar bissige Streicherfiguren. Diese münden in sinnlich wohliger Erschlaffung und zeigen damit die entgegengesetzte Kontrastspanne, wie der andere
italienische „Wahnsinnstanz“, die Tarantella. Also wirkt Rasmussens Follia wie die zeitgemäße Aneignung eines originalen alten Werks.
Dagegen sind seine The Four Seasons After Vivaldi eher eine Übermalung und Überschreibung als freie Neueinrichtung. Die ungewöhnliche Veränderung der Proportionen zwischen den Einzelstimmen und eine stärkere Akzentuierung der Basslinien bewirken die veränderte Wahrnehmung der Tongebilde mit einem ähnlichen Effekt, als wären die Stimmen von Beethovens Klavier-Albumblatt Für Elise auf Tuba und Viola verteilt. Dabei hält sich Rasmussen fast immer äußerst respektvoll zu Vivaldis rhythmischen Figuren. Mehr als einmal erwachen Erinnerungen
an den um dreizehn Jahre älteren Jacques Loussier und dessen Zyklus Play Bach. Aber Rasmussen scheute offenbar die Transformation Vivaldis in jüngere Rhythmen.
Die musikalische Leitung teilen sich Magnus Fryklund und Lars
Ulrik Mortensen. Bei dieser Luxus-Versorgung mit koordinierender Aufmerksamkeit vernimmt man nur anhand der Präzision und der Lust der Musiker an Klangfarben-Mixturen und Feinschliff, dass es sich um ein Spezialistenensemble handelt. Wer sich mit einigen der in den vergangenen vierzig Jahren entstandenen Einspielungen von I musici bis Giovanni Carmignola genauer beschäftigt hat, wird jenen vor Rasmussens Hybrid-Opus den Vorzug geben.
Roland Dippel