Dmitri Schostakowitsch
The Fifteen Symphonies
Dresdner Philharmonie, Ltg. Michael Sanderling
Mit der Saison 2018/19 endete Michael Sanderlings Tätigkeit als Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Als Vermächtnis der insgesamt acht Jahre, die Sanderling diesem Orchester vorstand, ist nun eine Box mit allen fünfzehn Sinfonien Dmitri Schostakowitschs erschienen. Einige der Werke, nämlich die Sinfonien 1, 5, 6 10 und 13, waren bereits vorher greifbar, und zwar in Kopplungen mit Sinfonien Ludwig van Beethovens. Die Kombination ergibt Sinn, denn nach Sanderlings Worten war Beethoven der erste Komponist, der „die „Sinfonie als Medium genutzt hat, um gesellschaftlich relevante Probleme aufzuzeigen, zu entwickeln und zu lösen“, Schostakowitsch hingegen der letzte Sinfoniker dieser Art. Man könnte es auch so formulieren, dass beide in ihren Sinfonien „Volksreden an die Menschheit“ verfassten.
Nun kommt es aber dem Dirigenten ohrenscheinlich weniger darauf an, die emotionale Aussage der Partituren bis zum Extrem auszureizen, sondern vielmehr ihre kompositorische Struktur sowie das motivische Geflecht zu verdeutlichen. Transparenz steht im Vordergrund, auch im Einsatz der orchestralen Farben. Der weitgehende Verzicht auf klangliche Opulenz zeitigt auch größtenteils positive Ergebnisse; das Orchester klingt schlank und athletisch, die Artikulation über weite Strecken punktgenau, die Akzentsetzungen messerscharf. Auch wenn Sanderling oft recht gemessene Tempi wählt, bedeutet dies zumeist kein Glattbügeln der zahlreichen Ecken und Kanten. In der ironischen Neunte etwa ist ungeachtet der vergleichsweise gemächlichen Gangart alles gesagt. Hervorragend gelungen sind auch die ersten drei Sinfonien; die Freude am musikalischen Muskelspiel, die den jungen Schostakowitsch bei der Komposition dieser Werke beseelt hat, teilt sich unmittelbar mit – sogar die Schlusschöre der Zweiten und Dritten wirken endlich einmal nicht hohl und aufgesetzt (und die Texte muss man ja nicht unbedingt beim Hören mitverfolgen).
Wenn es etwas zu kritisieren gäbe, dann höchstens, dass es Sanderling nicht immer gelingt, insbesondere die langsamen Sätze auch mit Spannung zu erfüllen. Im Kopfsatz der Zehnten etwa mag die Musik einfach nicht so recht in Fahrt kommen – was ihr übrigens auch in den folgenden drei Sätzen nicht gelingt. Etwas schwerfällig klingt auch die Dreizehnte, und das rätselhafte Finale der Fünfzehnten zieht sich über fast zwanzig Minuten hin, ohne dass hier eine ähnliche dramaturgische Zielstrebigkeit erreicht würde wie in den beiden Aufnahmen von Kurt Sanderling, dem Vater des Dirigenten.
Letztlich jedoch überwiegt die kompromisslose Ernsthaftigkeit, mit der Michael Sanderling den Partituren auf den Grund geht, gegenüber den gelegentlichen Schwächen dieses Zyklus. Hinzu kommt eine sehr ansprechende Klangqualität, die über die vier Jahre, in denen der Zyklus aufgenommen wurde (2015 bis 2019), keine größeren Schwankungen zeigt, und eine vorbildliche Klangkultur des in allen Stimmgruppen überzeugenden Orchesters.
Thomas Schulz