Joseph Bodin de Boismortier
The Court and the Village. Chamber Music
Cappella Musicale Enrico Stuart, Ltg. Romeo Ciuffa
Eigentlich war er Steuereintreiber und produzierte Kompositionen am Fließband, um damit Geld zu verdienen: Joseph Bodin de Boismortier, geboren 1689 im lothringischen Thionville, Unruhegeist mit etlichen Wirkungsstätten in Frankreich, 1755 bei Paris gestorben.
Diesem Komponisten und seinem ungewöhnlichen Stil widmet der Italiener Romeo Ciuffa eine CD mit Werken in sehr verschiedenen Besetzungen: von Cembalo solo und zwei Flöten solo, von Flöte plus Violine solo über eine Gambensonate bis hin zur kammermusikalischen Größe mit Flöten und Streichern. Somit wird ein Einblick in die Welt eines Komponisten gewährt, der nahezu die gleichen Lebensdaten aufweist wie Johann Sebastian Bach.
Anders als dieser jedoch, der in den 1740er Jahren wie zum Trotz die kontrapunktischen Meisterzyklen Das musikalische Opfer und Die Kunst der Fuge der Nachwelt schenkte, scheint Boismortier sich mit dem neuen Zeitgeist beschäftigt zu haben, denn oft genug kommt seine Musik galant und einfach daher, ohne den altbarocken Gestus ganz abstreifen zu können. Boismortier schreibt dabei eher gefällig, aber er kann sich nicht so recht entscheiden. Im Jahr 1780 gießt dies Jean-Benjamin de la Borde in den Satz: „Glücklich ist Boismortier, aus dessen Feder jeden Monat ohne Anstrengungen eine Air nach Belieben fließt.“
So ganz Unrecht wird der Chronist nicht gehabt haben, denn mehr als einmal fehlt der Musik Boismortiers der Tiefgang, die unverwechselbare Handschrift, der „Pfiff“.
Romeo Ciuffa, Blockflötist und Leiter der Cappella Musicale Enrico Stuart, lässt sich von diesem kleinen Dilemma nicht beirren und musiziert frisch und munter drauf los. Dabei kann er sich in allen Partien auf kongeniale Mitstreiter verlassen. Gelegentlich vermisst man das Feuer und die Angriffslust, etwa wenn zwei Flöten solo miteinander wetteifern. Aber mehr gibt die Notenfaktur wohl nicht her.
Die Aufnahmetechnik der CD ist dabei wohltuend direkt und auf einen eher kleinen Raum gerichtet. So direkt, dass man gelegentlich das Einatmen der Flötisten hören kann: welch wunderbare Erinnerung, dass hier Menschen am Werk sind. Der Repertoirewert dagegen ist eher als „begrenzt“ einzustufen. Einmal hört man ein Lamento mit strukturellen Chromatismen – Musik, die an altitalienische Meister wie Frescobaldi erinnert. Als Schlusswerk ertönt dann eine hörenswerte Ballettmusik im eher galanten Stil.
Das Motto der CD, „The Court and the Village“, hebt wohl auf ländliche Szenen ab, die sich vor allem in zwei Cembalostücken mit programmatischen Titeln wie Der Floh und Die Bäurische widerspiegeln. Das recht schmal gehaltene Booklet ist lediglich in englischer Sprache verfasst.
Die CD ist es dennoch wert, beachtet zu werden, zeigt sie doch, wie unterschiedlich die in den 1680er Jahren geborenen Tonsetzer die Stilwende von 1730 an verarbeitet haben. Und die Musizierlust der jungen Musiker um Romeo Ciuffa schleift dabei gelegentliche kompositorische Unebenheiten Boismortiers zu eher funkelnden Steinen.
Thomas Krämer