Beethoven, Ludwig van
The Complete Symphonies
5 CDs
Dieser Beethoven-Zyklus kommt zur rechten Zeit. Nicht zuletzt rundfunkpolitisch. In Zeiten der drohenden und fatalen Fusion der beiden großen baden-württembergischen Sinfonieorchester des Südwestrundfunks belegt der zweite Beethoven-Zyklus des SWR Sinfonieorchesters Baden-Baden und Freiburg unter Michael Gielen in ausgezeichneter Weise das besondere, unverwechselbare Profil des Klangkörpers, das so ganz anders ist als das des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR. Das Baden-Baden und Freiburger Orchester ist auch bei der Wiedergabe des klassisch-romantischen Repertoires stark geprägt von der intensiven Beschäftigung mit der Neuen Musik, die seit seiner Gründung einen Schwerpunkt in seiner Arbeit darstellt. Erst recht unter seinem langjährigen Chefdirigenten Michael Gielen, der von 1986 bis 1999 dem Orchester vorstand und der es auch in Folge regelmäßig leitete. Dieser ist einer der großen Interpreten der zeitgenössischen Musik und selbst auch Komponist. Ganz anders als die Kollegen des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart, deren vor zehn Jahren entstandener Beethoven-Zyklus unter Sir Roger Norrington von der Übertragung historischer Spielweisen auf ein modernes Sinfonieorchester bestimmt ist, spielt das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Gielen einen Beethoven, der analytisch sehr klar und scharfsinnig durchleuchtet ist. Hier trägt der Umgang mit den komplexen Strukturen zeitgenössischer Werke reife Früchte. Entsprechend streng und objektiv ist der Gestus und scharf gezeichnet der Klang.
Zurück zu Beethoven und dessen Intentionen: Beide SWR-Orchester mit ihren gewichtigen Dirigentenpersönlichkeiten treffen sich in der Befolgung der Beethovenschen Metronomangaben auch ganz konkret. Doch der Zugang und die Klangsprache sind jeweils anders. Beide haben ihr Existenzrecht und sollten das auch in Zukunft haben.
Die vorliegenden fünf CDs dokumentieren Michael Gielens zweiten Zyklus aller neun Beethoven-Symphonien. Die Aufnahmen entstanden zwischen 1997 und 2000 im Freiburger Konzerthaus. Ein erster Zyklus mit dem SWR Sinfonieorchester war bereits Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre an unterschiedlichen Orten entstanden.
Gielens zweiter Zyklus ist im Prinzip von den gleichen Tugenden und Lösungen bestimmt wie der erste. Nur im Finale der Sechsten und dem langsamen Satz der Neunten sind Gielens Tempi etwas ruhiger geworden. Das Innovative, das Revolutionäre dieser Musik hebt der Dirigent weiter deutlich hervor. Statt pseudoromantischem Pathos bietet Gielens scharfsinnige Lesart abermals die exponierte Verdeutlichung der musikalischen Form und damit umso authentischer den darin eingeschlossenen Ausdruck. In vielen Details ist Gielen dabei so spannungsvoll und erregend wie keiner seiner Kollegen etwa am Beginn der Coda im ersten Satz der Fünften. Dieser zweite Zyklus bezeugt eine epochale Beethoven-Interpretation, nun noch reifer und überlegener. Im Finale der Neunten bewähren sich der Rundfunkchor Berlin und als Solisten Renate Behle, Yvonne Naef, Glenn Winslade und Hanno Müller-Brachmann.
Karl Georg Berg