Nordin, Jesper

the aisle

for clarinet and string quartet, Partitur und Stimmen

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Peters, Frankfurt am Main 2008
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 74

Der traditionelle Hochzeitsmarsch Jämtländsk brudmarch aus Nordschweden bildet den Ausgangspunkt für Jesper Nordins Komposition the aisle für Klarinette in B und Streichquartett. Neben den Einflüssen der Volksmusik ist Nordins Klangwelt auch von Rock-, improvisierter und elektronischer Musik inspiriert. Der 1971 geborene Komponist studierte am Royal College in Stockholm und später am IRCAM in Paris. An der Stanford University forschte er am renommierten CCRMA Studio für elektroakustische Musik. Zu seinen bekanntesten Stücken zählen sleep now in the fire für Altsaxofon und Orchester sowie vintage für Schlagzeug und Computer. Den internationalen Durchbruch erlebte Nordin mit dem mehrfach ausgezeichneten Stück calm like a bomb für Violine und Band.
Der Komponist selbst beschreibt the aisle als „schmerzhaft und friedvoll zugleich“, zwei grundsätzliche Merkmale sind „das Summen und die traditionelle schwedische Volksmusik“. Wichtig ist dem Künstler, die Aufmerksamkeit seiner Hörer auf „die inneren, feinen Anteile der Musik“ zu lenken. Leise beginnend hebt die Klarinette mit einem Ganztonschritt auf b an, der sich von einem Hauch in ein zartes Vibrato wandelt. Die Streicher beginnen mit ebenso hauchzarten Klängen. Nach und nach gewinnt das Geschehen an Dramatik, doch die Steigerungen definieren sich ausschließlich über die Dynamik, keine weiteren Parameter der Musik haben daran teil. Sekundschritte sind ein Charakteristikum der Solostimme, auch in der Harmonik sind Sekunden die vorherrschenden Intervalle, Terz- oder Quint­schichtungen sind kaum vorhanden. Es sind in erster Linie die kleinen Sekunden, die klingen. Flirrende Töne begleiten die Entwicklung.
Das Soloinstrument ist dominant, das Streichquartett hat eher den Charakter einer Klangkulisse. Manche Abschnit­te scheinen aufführungspraktisch in den Streichern schwer umsetzbar zu sein, wie beispielsweise in Takt 53, wo nur ein Ton, das a’, klingt, da die erste Violine von den anderen Streichern übertönt wird. In Takt 64, etwa im Goldenen Schnitt, wird ein Höhepunkt erreicht. Hier schweigt die Klarinette, die Klimax wird allein von den Streichern getragen und bricht unvermittelt ab. Das Ereignis wirkt jedoch eher wie eine künstliche Aufregung, da musikalisch nichts Neues geschieht. Ab Takt 70 gibt es keine Taktstriche mehr, die Stichnoten sind das Einzige, was das Ensemble noch hält. Das Zusammenspiel wird frei, ein improvisatorischer Charakter tritt hervor. Unterschiede scheinen kaum noch wahrnehmbar zu sein, da es zur Klangverschmelzung kommt.
In seiner Gesamtanlage ist the aisle ein auskomponiertes Crescendo bzw. Decrescendo. Die Klarinettenstimme hat enorm viele Triller zu bewältigen, die oft wie „Piepser“ wirken. Diverse Spielanweisungen für die Streicher stehen in der Partitur, doch die tatsächlichen Möglichkeiten eines Streichquartetts werden nicht wirklich genutzt. Manche notierte Abschnitte scheinen eher Geräusche als Klänge zu initiieren. Doch wie heißt es so schön in Alex Ross’ Buch The rest is noise: „Inhalt und Bedeutung von Musik sind immer unbestimmt, veränderlich und letzten Endes eine zutiefst subjektive Wahrnehmung.“
Juliane Bally