Haydn, Joseph
The 12 London Symphonies
Jede Symphonie von Joseph Haydn tut einem gut. Und, fügt Dirigent Roger Norrington im Booklet noch an, die Musik wandle ständig zwischen Unterhaltung und Erbauung. Diese Aussagen unterstreichen die Mitglieder des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart des SWR mit jeder Note ebenso resolut wie tänzerisch federnd. Denn das wird ja bei dem Wiener oft vergessen: Er hat geländlert, gewalzert, mit Menuetten oder in hinreißenden Finali echten Swing anklingen lassen. Nur hieß das damals noch nicht so.
Also: Haydn ist Seelenfutter, wie es Antal Dorati vor über 25 Jahren einmal formulierte. Die Balance ist ausgeglichen, es gibt Herz und Schmerz und gelegentlich auch mal Scherz. Auch diese Einschätzung trifft den Kern bei dem Österreicher: Er ist ein höchst menschlicher Komponist, der um die Konditionen der Humanitas weiß und darauf musikalisch antwortet.
Das gilt eben für diese zwölf symphonischen Beispiele. Die Einspielung verrät Lebensklugheit und Realitätssinn, Weisheit und Wissen. Haydn ist kein utopischer Träumer, kein pathetischer Rundumschläger. Vielmehr kommuniziert dieses meist viersätzige Konzept seiner Symphonien Verständnis und Verständlichkeit. Die Melodien werden wie aus dem Füllhorn ausgebreitet und aufbereitet. Haydn kennt sich in seinem Metier bestens aus technisch wie kompositorisch oder klanginteressant. Er ist eben der Gründer der klassischen symphonischen Abfolge. Auch dies bestätigen diese zwischen 1791 und 1795 entstandenen Werke.
War der Komponist und Kapellmeister zwar lange nur auf Eszterhaza und Wien fixiert, so erreichten ihn auch Botschaften und Bitten aus der Nachbarschaft wie aus England, aus London. Er war also reif für die
Insel und schuf mehr oder minder zügig die zwölf Symphonien, nicht nur beim Aufenthalt in der britischen Hauptstadt. Die Londoner Symphonien stellen in der Gesamtheit einen bemerkenswerten Reifegrad dar. Haydns Musik und Melodienstrauß at its best. Er war von dem Impresario Johann Peter Salomon in die Metropole gelockt worden und dankte dieser Einladung mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung standen wobei die Reise durchaus Strapazen für ihn bereithielt. Er habe sogar gehungert, heißt es in Haydns Notizen über die Anfahrt
Davon ist in den Symphonien nichts zu hören. Die Musik klingt, so wie von Norrington und dem SWR-Ensemble rundherum präsentiert, richtig satt. Und liebevoll, und kernig, und gelassen, und heiter. Norrington entwickelt ein Gespür für all diese Eigenheiten und Ingredienzien Haydnscher Lauterkeit. Kein dröhnender Paukenschlag, keine romantische Verniedlichung, kein nostalgischer Lapsus diese Symphonien strömen dahin wie ein klarer, heller, lebensnaher Fluss.
Dass Haydn wenige Jahre nach seinem Tod von der Konzertwelt wieder vergessen wurde, kann man nicht nachvollziehen. Umso wichtiger sind solche Tondokumente. Sie lassen Joseph Haydn leben britisch, österreichisch, deutsch. Hauptsache: Es ist Weltmusik ein Schatz mit rund 100 symphonischen Beiträgen. Die Londoner sind also nur ein Durchgang. Allerdings mit auftrumpfender Reife.
Jörg Loskill