Nikolaus Brass

Texte

Texte Gespräche, Essays, Werkkommentare

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schott
erschienen in: das Orchester 05/2020 , Seite 66

Es fällt schwer, ihn einer Schule, einer Bewegung zuzuordnen; er ist kein Adept – der 1949 geborene Nikolaus Brass, der im Bereich des Komponierens eine Sonderstellung einnimmt. Ein Künstler, der zu dem kompositorischen auch ein medizinisches Studium absolvierte, das ihn Arzt werden ließ und Redakteur einer pharmakologischen Zeitschrift. Daneben die bis heute andauernde musikalische Produktion mit einem großen Umfang an Werken aller Gattungen bis hin zur Oper, deren jüngste (Die Vorübergehenden) 2018 bei den Münchner Opernfestspielen uraufgeführt wurde. Zahlreiche Tonträger dokumentieren seine Arbeiten, die ihn dennoch eher in der Randzone der Betriebsamkeit verbleiben lassen.
Eine erfahrungsgesättigte, keine ideenbestimmte Kunst ist das, die partiell Verbindungen zur Musik Morton Feldmans, Giacinto Scelsis, auch Helmut Lachenmanns unterhalten mag. Brass, aus Lindau am Bodensee stammend, ist nicht der Normalfall des Korridor-Komponisten des Neue-Musik-Betriebs mit seinen stipendiatisierten und projektbezogenen Geschöpfen. Ein nicht Eingehegter im avantgardistischen Laufbahn-Parcours. Der jedoch dadurch seinen Selbst- und Weltbezug als Künstler von der Außenseite der ästhetischen Existenz zu reflektieren vermag.
Davon zeugen auf fesselnde Weise die Essays, Statements, Interviews des Komponisten, die hier versammelt sind. Ungewöhnlich anschauliche, in vielen Belangen der ästhetischen, philosophischen, musikhistorischen Reflexion bewanderte Texte, deren Qualität darin besteht, dass das Erfasste als ein Selbsterfahrenes erscheint. Das lässt Erkenntnisse zur Selbsterkenntnis des kreativen Schaffens werden und bringt dem Leser sukzessive die künstlerische Haltung von Brass näher. Die chronologische Anordnung der in einem Zeitraum von fast zwanzig Jahren bis heute entstandenen Beiträge macht die Entwicklung dieses Werks plastisch.
Die zentrale Frage aller Brass’schen Bekundungen ist nicht: was bedeutet diese und jene Komposition, sondern: was bedeutet es, so zu komponieren. Was bedeutet es, nicht Präsentator von Ideen und Konzepten zu sein (gegen die der Autor scharfsinnig Stellung nimmt), sondern: was bedeutet es, Ermöglicher von Präsenz zu sein und Klangwelt als einen Raum dichter Erfahrung zu schaffen. Der Begriff der Geladenheit wird gebraucht, ein fast körperliches Moment in der Erfahrung des klingenden Gegenstands. Eines Phänomens von Außerordentlichkeit, das nach Ritual und Kult als jüngste Stufe numinoser, treffender Erfahrung auf uns gekommenen ist. Weniges minutiös ausloten, um auf kleinstem Raum Differenz und damit Wahrnehmungsstürzendes zu erleben.
Der sorgfältig edierte und gut gestaltete Band versammelt auch Texte anderer Autoren. Nicht als Erklärungen, was dem Habitus des Werks widerspräche, sondern als Haltung, Hörhaltung gebende Verweise, mit denen sich die Eigenart der fragilen Intensität von Nikolaus Brass sehr gut erschließt.
Bernhard Uske