Felix Mendelssohn Bartholdy

Te Deum/Hora est/Ave Maria

Kammerchor Stuttgart, Chor-Solisten, Sonntraud Engels-Benz (Continuo-Orgel), Ltg. Frieder Bernius

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Hänssler Classic HC20034
erschienen in: das Orchester 11/2021 , Seite 83

Der Kammerchor Stuttgart nimmt unter den professionellen Gesangsensembles neben den Rundfunkchören in Deutschland eine Spitzenposition ein. 1968 gegründet, kann er nach über fünf Jahrzehnten auf eine künstlerische Erfolgsgeschichte und ein breites Repertoire vom Barock bis zur Moderne verweisen.
Die aktuelle Einspielung ist eine der zahlreichen Corona-Sommerproduktionen des Jahres 2020, die gegenwärtig als wahre „Welle“ neuer Veröffentlichungen in die Redaktionen gespült werden. Entstanden im Juni 2020, nach dem Abklingen der ersten und vor dem Aufbranden der zweiten Pandemiewelle. Neben Mendelssohns Te Deum (aufgenommen in der Besetzung 7-6-5-5) mit einer Spieldauer von rund 37 Minuten als Hauptwerk sind auch noch die kleineren Stücke Hora est (in 16er-Besetzung) und das Ave Maria zu hören.
Das Te Deum des gerade einmal 17 Jahre alten Komponisten zeugt von seiner Kenntnis wichtiger Werke der italienischen Vokalpolyfonie aus dem 16. und 17. Jahrhundert, erinnert aber – wohl auch wegen der Continuo-Begleitung durch die kleine Orgel – noch mehr an die Motetten von Johann Sebastian Bach. Frieder Bernius und der Stuttgarter Kammerchor gestalten das Werk mit großen, endlos wirkenden Spannungsbögen, einem ausgewogenen, nie forcierten Kammerchorklang bis zur kammermusikalischen Reduktion; intonantionssauber und sprachlich präzise, schönster Chorgesang.
Die Besetzung der solistischen Partien mit Chormitgliedern belegt einerseits den hohen künstlerischen Standard des Stuttgarter Kammerchors und begünstigt einen einheitlichen Klangeindruck. Andererseits würden explizit solistische Stimmen für mehr Auflockerung sorgen. Das bleibt aber letztlich Geschmacksache. Im gut gestalteten Booklet erläutert Dirigent Frieder Bernius das Für und Wider authentischer Besetzungen der Stücke, die von Mendelssohn ja ursprünglich für die „Hundertschaften der Singakademie Berlin“ geschrieben seien.
Das Stück Hora est wurde ursprünglich für vier vierstimmige Chöre geschrieben und als (verspätetes) Geburtstagsgeschenk für Mendelssohns Schwester Fanny im Frühjahr 1829 bei der Generalprobe der legendären Wiederentdeckung von Bachs Matthäuspassion uraufgeführt. Es erklingt auf der Aufnahme durch vier Soloquartette, was der polyfonen Transparenz sehr zuträglich ist, dem Gesamteindruck aber keinen Abbruch tut.
Das Ave Maria wird als kürzestes Werk dieser Aufnahme vom Tenorsolo im Wechsel mit dem Chor eröffnet. Im zweiten Teil, mit dem fugiert beginnenden Sancta Maria auf durchlaufendem Continuo-Bass, verströmt der Chor nochmals romantisch differenzierten Wohlklang, um schließlich zum Ave Maria des Eingangs zurückzukehren. Insgesamt eine sehr „runde“ Produktion.
Gerald Mertens