David Reichelt

Tatort: Dreams

Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Andreas Kowalewitz

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR-Klassik
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 72

Es ist etwas Besonderes, wenn für eine Folge des Tatorts eine sinfonische Orchestermusik in Auftrag gegeben wird. Der 87. Fall der beiden Münchner Ermittler Batic und Leitmayr spielt, unter dem Titel Dreams, im Orchestermilieu während der Ausscheidungsvorspiele um die Position der stellvertreten-den Konzertmeisterin. Die Erstausstrahlung des Films in der ARD war am 7. November 2021, es spielt (in Ton und Bild) das Münchner Rundfunkorchester, die Musik komponierte der 1986 geborene David Reichelt, zweifacher Preisträger des Deutschen Filmmusikpreises.
Im Drehbuch von Dreams wird die Konkurrenzsituation zweier Freundinnen im Probespiel derart zugespitzt, dass die eine die andere umbringt. Da sich die Protagonistin in der Hoffnung auf Leistungssteigerung als Probandin in ein Schlafstudio begibt, in dem luzide Träume von außen gesteuert werden, ist sie selbst dann, als sie sich der Polizei stellt, unsicher, ob sie die Tat nur geträumt hat oder ob sie Wirklichkeit war.
Dieses Setting liefert die Grundierung für Reichelts Filmpartitur. In der Färbung vorwiegend dunkel, korrespondierend mit fahlem Licht und kalten Räumen im Film, changiert seine Musik zwischen Traumhaftem und Konkreterem. Zugleich ermöglicht der Plot partiell den Musikeinsatz als Inzidenzmusik; indem das Musizieren selbst im Bild erscheint, wird es zum Handlungsträger. Hier sorgt der Komponist ebenfalls für fließende Übergänge zwischen Musik im On und als kommentierende im Off.
Audio-Veröffentlichungen von Filmmusik haben häufig das Format von Suiten, in denen die Hauptthemen zusammengestellt sind, zuweilen umgearbeitet für die konzertante Verwendung. Diese CD hingegen enthält die komplette Partitur Reichelts mit insgesamt 20 (zuweilen recht kurzen) Titeln mit einer Gesamtdauer von 42 Minuten. Dass diese Tatort-Folge so viel Musik enthält, dürfte den Zuschauenden vermutlich kaum bewusst werden, da sie auch typische Überleitungen und Ortswechsel begleitet, in die Atmo hineingemischt.
Die reine Audio-Aufnahme bietet die Chance, das Komponierte im Detail zu hören, sie führt in die Werkstatt des Komponisten. Hierin liegt ein besonderer Reiz dieser CD. Als Konzertmusik funktioniert Reichelts Partitur nicht, dafür sind die kurzen Sätze zu unselbstständig, formal vom Bildgeschehen abhängig. Ein Nocturne, die beiden Finales und ein Prelude für Violine solo hingegen sind eigenständige Stücke, die stilistisch auf die Spätromantik verweisen. Untermalende und kommentierende Passagen gestaltet Reichelt häufig mit repetierenden Patterns, kreisenden Bewegungen in engeren Tonräumen. Ein Zitat des mittelalterlichen Dies irae wird fast ostinat behandelt. Anklänge an Bernard Herrmann in irrealen Sequenzen sind möglicherweise nicht unbeabsichtigt, schließlich ist dieser Tatort ein Thriller. In einigen Höhepunkten weitet Reichelt das Orchestrale breit aus. Als Referenz bildet die sinfonisch erweiterte Tatort-Titelmelodie von Klaus Doldinger eine überraschende, augenzwinkernde Zugabe.
Christian Kuntze-Krakau