Schmitz, Rainer / Benno Ure

Tasten, Töne und Tumulte

Alles, was Sie über Musik nicht wissen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Siedler, München 2016
erschienen in: das Orchester 02/2017 , Seite 56

„Alles, was Sie über Musik nicht wissen“: nein, nicht nur das, was wir nicht wissen, sondern auch das, wozu den meisten von uns wohl nicht einmal die passenden Fragen eingefallen wären. Die vielen, vielen Antworten von A bis Z auf unsere imaginären Fragen verschaffen uns indes ein riesiges Lesevergnügen. Das Buch ist ein kurzweiliges Panoptikum des Abseitigen, des Amüsanten und des Ernsten. Es darf sich ge­trost unter dem im Musikbetrieb allgegenwärtigen Stichwort „Vermittlung“ einordnen. Tas­ten, Töne und Tumulte ist das reinste Füllhorn an Hintergrundwissen zu Musik und Musikern, wobei man dem Buch nicht Unrecht tut, wenn man ihm auch ganz überzeugende Klatsch- und Tratsch-Qualitäten zuschreibt.
Beginnen wir beim Stichwort „Tasten, schwarze“ im Kapitel „Tasten“. Hier werden wir beispielsweise darüber informiert, dass Irving Berlin keine Noten lesen konnte und der Einfachheit halber nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör spielte, auf diese Weise aber 15 Broadway-Shows und Musicals schuf. Unter „Töne“ findet man beim Stichwort „Töne, falsche“ die vielen Patzer, die sich die „Alten“ leisteten; belegt wird das, wie alles andere zumeist auch, per Literaturangabe. Die „Tumulte“ beginnen bei einer Massenschlägerei im Amphitheater in Pompeji und enden überraschend bei Debussys Pelléas et Mélisande. Verbindet man jedoch Strawinskys Sacre mit diesem Begriff, hilft einem ein Querverweis weiter zum Stichwort „Skandale“.
Diese vielen Querverweise verführen zum Weiterschmökern, oder man lässt den Zufall walten. Einfach das Lesezeichen irgendwo hineinschieben. Und wenn einen der Zufall zu „Orgasmus, musikalischer“ geführt hat, dann erfährt man Erhellendes von der amerikanischen Psychologin Psyche Loui, die als junges Mädchen bei Rachmaninows zweitem Klavierkonzert Orgasmusgefühle bei sich wahrnahm und das Phänomen später erforschte. Und die BBC brachte eine Liste der Stücke, die diese Gefühle bewirken können, darunter Bachs Toccata F-Dur oder Adeles Someone like you. Nach solch einem Text und etlichen anderen müssten sich Programmheftautoren alle zehn Finger lecken. Das Zürcher Publikum mag so etwas indes nicht, wie ich erfahren musste.
Unmittelbar auf den musikalischen Orgasmus folgt das Stichwort „Orgeln, größte“ mit Hinweisen zu Pfeifen-, Register- und Manualzahl. Nach den seriösen Klatschgeschichten muten die Orgeln ganz ernsthaft an, entbehren aber auch nicht des Vergnügens am abseitig Sensationellen. Reinste Ernsthaftigkeit spricht aus dem Artikel „Pädophilie“ als Schlüssel zum Werk Benjamin Brittens. Mit dunklen Zeiten beschäftigt sich das Stichwort „Lagerorchester“, erinnert an Buchenwald, Mauthausen oder Theresienstadt, wo KZ-Insassen wirklich „um ihr Leben“ spielten.
Naheliegendes? Die Spekulationen um Mozarts Tod, die ausführliche Suche nach Beethovens „Elise- Verdächtigen“. Ab und zu geht es um Nichtiges: Die Eier-Polka op. 35 von Hardtberg dauert also genau drei Minuten – Kochzeit für ein weiches Ei! Das taugt dann kaum fürs Pausengespräch.
Günter Matysiak