Schmitz, Rainer / Benno Ure
Tasten, Töne und Tumulte
Alles, was Sie über Musik nicht wissen
Alles, was Sie über Musik nicht wissen: nein, nicht nur das, was wir nicht wissen, sondern auch das, wozu den meisten von uns wohl nicht einmal die passenden Fragen eingefallen wären. Die vielen, vielen Antworten von A bis Z auf unsere imaginären Fragen verschaffen uns indes ein riesiges Lesevergnügen. Das Buch ist ein kurzweiliges Panoptikum des Abseitigen, des Amüsanten und des Ernsten. Es darf sich getrost unter dem im Musikbetrieb allgegenwärtigen Stichwort Vermittlung einordnen. Tasten, Töne und Tumulte ist das reinste Füllhorn an Hintergrundwissen zu Musik und Musikern, wobei man dem Buch nicht Unrecht tut, wenn man ihm auch ganz überzeugende Klatsch- und Tratsch-Qualitäten zuschreibt.
Beginnen wir beim Stichwort Tasten, schwarze im Kapitel Tasten. Hier werden wir beispielsweise darüber informiert, dass Irving Berlin keine Noten lesen konnte und der Einfachheit halber nur auf den schwarzen Tasten und nach Gehör spielte, auf diese Weise aber 15 Broadway-Shows und Musicals schuf. Unter Töne findet man beim Stichwort Töne, falsche die vielen Patzer, die sich die Alten leisteten; belegt wird das, wie alles andere zumeist auch, per Literaturangabe. Die Tumulte beginnen bei einer Massenschlägerei im Amphitheater in Pompeji und enden überraschend bei Debussys Pelléas et Mélisande. Verbindet man jedoch Strawinskys Sacre mit diesem Begriff, hilft einem ein Querverweis weiter zum Stichwort Skandale.
Diese vielen Querverweise verführen zum Weiterschmökern, oder man lässt den Zufall walten. Einfach das Lesezeichen irgendwo hineinschieben. Und wenn einen der Zufall zu Orgasmus, musikalischer geführt hat, dann erfährt man Erhellendes von der amerikanischen Psychologin Psyche Loui, die als junges Mädchen bei Rachmaninows zweitem Klavierkonzert Orgasmusgefühle bei sich wahrnahm und das Phänomen später erforschte. Und die BBC brachte eine Liste der Stücke, die diese Gefühle bewirken können, darunter Bachs Toccata F-Dur oder Adeles Someone like you. Nach solch einem Text und etlichen anderen müssten sich Programmheftautoren alle zehn Finger lecken. Das Zürcher Publikum mag so etwas indes nicht, wie ich erfahren musste.
Unmittelbar auf den musikalischen Orgasmus folgt das Stichwort Orgeln, größte mit Hinweisen zu Pfeifen-, Register- und Manualzahl. Nach den seriösen Klatschgeschichten muten die Orgeln ganz ernsthaft an, entbehren aber auch nicht des Vergnügens am abseitig Sensationellen. Reinste Ernsthaftigkeit spricht aus dem Artikel Pädophilie als Schlüssel zum Werk Benjamin Brittens. Mit dunklen Zeiten beschäftigt sich das Stichwort Lagerorchester, erinnert an Buchenwald, Mauthausen oder Theresienstadt, wo KZ-Insassen wirklich um ihr Leben spielten.
Naheliegendes? Die Spekulationen um Mozarts Tod, die ausführliche Suche nach Beethovens Elise- Verdächtigen. Ab und zu geht es um Nichtiges: Die Eier-Polka op. 35 von Hardtberg dauert also genau drei Minuten Kochzeit für ein weiches Ei! Das taugt dann kaum fürs Pausengespräch.
Günter Matysiak