Janácek, Leoš

Taras Bulba

Rhapsodie für Orchester, Urtext, hg. von Jarmil Burghauser / Jan Hanus mit einem Vorwort von Jirí Zahrádka

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2015
erschienen in: das Orchester 11/2015 , Seite 75

Die textkritische Ausgabe der Werke von Leoš Janácek – seit 1978 vorgelegt vom Bärenreiter-Verlag in Zusammenarbeit mit Editio Supraphon Prag – gehört zu den editorischen Großtaten der vergangenen Jahrzehnte. Zum einen wurde die Tätigkeit in einer Zeit begonnen, in der der „Kalte Krieg“ grenzüberschreitende Initiativen dieser Art eher erschwerte. Andererseits galt es, die Originalgestalt einer Musik herauszuarbeiten, deren Kompromisslosigkeit verstörend gewirkt und gerade wohlmeinende Weggefährten Janáceks zu Glättungen seiner Partituren veranlasst hatte. Und noch ein Drittes: Das Notenbild eines Janácek-Autografs übertrifft in seiner eruptiv hingeworfenen Skizzenhaftigkeit noch manch „Unleserliches“ aus der Feder Beethovens.
Als Auskoppelungen aus den Werkgattungsbänden erscheinen die Einzelwerke mittlerweile im Taschenpartiturformat, so im vorliegenden Fall die Rhapsodie Taras Bulba, eine von drei sinfonischen Programmmusiken, die Janácek zwischen 1914 und 1920 schrieb. Im Gegensatz zu Des Spielmanns Kind oder der Blanik-Ballade hat Taras Bulba heute als einziges dieser Werke zumindest einen Randplatz im Repertoire inne, es gilt neben der Sinfonietta als bedeutendstes Orchesterwerk Janáceks.
Jirí Zahrádka informiert im Vorwort ausführlich über Entstehungshintergründe und die langwierige Genese des Werks: Janácek empfand eine starke Affinität zur russischen Kultur. In seiner Heimatstadt Brünn wurde mehrheitlich deutsch gesprochen, mithin war seine Russophilie geprägt durch eine deutliche Neigung zum Panslawismus. Vermutlich lernte der Komponist Nikolai Gogols Erzählung vom ukrainischen Helden Taras Bulba im Jahr 1905 kennen. Erste Notizen und melodische Skizzen sind aus dieser Zeit erhalten. Der tragische Stoff faszinierte ihn: Taras Bulba verliert seine beiden Söhne und schließlich sein eigenes Leben im Kampf gegen die Polen, kann aber mit seinem letzten Atemzug seinen kosakischen Kampfgenossen zur Flucht aus der Belagerung verhelfen.
In seiner Rhapsodie verarbeitet Janácek seine Erschütterung über die Ereignisse des Ersten Weltkriegs, in dem Slawen auf Seiten der K.u.k.-Truppen gegen Slawen kämpfen mussten. Die Arbeit an der Komposition – sie trägt die Widmung „Für unsere Armee“ – erstreckte sich von 1915 bis 1918. Die Uraufführung fand 1921 statt, doch erst 1927 erfolgte die Veröffentlichung der Partitur. Diese Ausgabe diente der vorliegenden
Urtext-Edition als Grundlage, eine autorisierte Abschrift sowie weitere Dokumente wurden hinzugezogen. Die Ergebnisse dieser verdienstvollen Arbeit ermöglichen uns den freien Blick in Janáceks Welt: in seine vertrackten Harmonien, seine kantige und zugleich volltönende Instrumentation und nicht zuletzt seine aberwitzigen metrischen Relationen, die jedoch nicht allein im klingenden Resultat, sondern schon beim Blick in die von aller Willkür bereinigte Urtext-Partitur völlig schlüssig anmuten.
Gerhard Anders

Page Reader Press Enter to Read Page Content Out Loud Press Enter to Pause or Restart Reading Page Content Out Loud Press Enter to Stop Reading Page Content Out Loud Screen Reader Support